Mit blauem Auge davongekommen?
Die Wahl in Sachsen-Anhalt festigt den rechten und konservativen Block – für linke Initiativen wird das Eis dünner
Von Marcel Hartwig
Erleichterung bestimmte die politischen und medialen Reaktionen auf das Ergebnis der AfD am Wahlabend in Magdeburg. Die Partei wurde nicht stärkste Kraft zwischen Zeitz und Altmark. Also alles halb so schlimm?
Unter den ostdeutschen Bundesländern ist Sachsen-Anhalt ein überregional unbekannteres. Wird über den Osten berichtet, geht es oft um Sachsen, manchmal um Thüringen, selten um Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Zuletzt erlangte Sachsen-Anhalt bundesweite Aufmerksamkeit über den antisemitisch motivierten Anschlag in Halle (Saale) und den anschließenden Strafprozess vor dem Landgericht Magdeburg. Vor der Landtagswahl richtete sich die Aufmerksamkeit kurzzeitig auf das Land zwischen Elbe und Saale, da eine Umfrage des Instituts INSA suggerierte, die AfD könne am 6. Juni stärkste politische Kraft im Land werden. Auch wenn die Prognose von 26 Prozent für die AfD empirisch auf wackligen Füßen stand −für einen Moment war dem Bundesland die bundesweite Aufmerksamkeit sicher.
Verankerung verloren
SPD, Grüne und Linke stehen in Sachsen-Anhalt nach der Wahl numerisch und politisch zerzaust da. Die Grünen regierten in der zu Ende gegangenen Legislatur zu dem hohen politischen Preis, bei Polizeiskandalen um Rassismus oder der Aufarbeitung des Todes von Oury Jalloh auf der Bremse gestanden zu haben. Auf der Haben-Seite können sie den Einstieg in eine ökologische Landwirtschaft verbuchen. Die SPD setzte u.a. das Azubi-Ticket durch. Profitiert hat von alledem die CDU.
Die SPD ist im Land der ehemaligen Kombinatsarbeiter*innen aus Bitterfeld und Wolfen, Leuna und Schkopau seit der Einführung von Hartz IV im Abstieg begriffen, und inzwischen mit 8,4 Prozent nur noch ein Schatten ihrer selbst. Der Linken geht es nicht viel besser. Als PDS war sie einst in Kleingärten, Wohngebietskomitees und Arbeitslosenberatungen das soziale Backup der Leute, die in der Transformationsphase der 1990er Jahre unter die Räder des Kapitalismus gekommen waren. Heute fehlt ihr diese Verankerung.
Die Generation derer, die die Arbeit im vorpolitischen Raum trugen, ist weggebrochen.
Zusammen kommen alle drei Parteien auf gerade noch 25 Prozent der Stimmen. Alle Wahlkreise gewann die CDU − auch jene, die sie 2016 an die AfD verloren hatte. Die politische Geografie des Landes sieht heute ähnlich aus wie 1990/91: konservativ und rechts.
Unter Druck von rechts
Die AfD, die 2016 mit 24,3 Prozent in den Landtag einzog, setzte die schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition von Beginn an von rechts unter Druck. Die CDU tat sich schwer, dem standzuhalten. Mehrfach stimmten ihre Abgeordneten Anträgen der AfD zu, und in der Fraktion wurde offen über eine Kooperation der CDU mit der AfD spekuliert. Die Dispute der Kenia-Koalition waren zahlreich: Mal sollte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Chef Rainer Wendt Staatssekretär im Innenministerium unter Minister Holger Stahlknecht werden, mal paukte Kulturstaatsminister Rainer Robra die Absage eines Punkkonzerts im Dessauer Bauhaus durch. Ob Naturschutzdebatte oder Erhöhung des Rundfunkbeitrages: Der regelrechte politisch und habituell motivierte Hass nicht weniger CDU-Akteure auf die Grünen war deutlich spürbar.
Die AfD reizte im Parlament sprachlich alles aus, was rechtsextrem ist. Der damalige AfD Fraktionschef André Poggenburg erging sich in Hasstiraden und NS-Invektiven; der ideologische Kopf der AfD-Fraktion, Hans Thomas Tillschneider, skizzierte seine an Victor Orban und dem völkischen Nationalismus geschulten Kulturkampf-Phantasien für einen autoritären, gesellschaftspolitischen Umbau gegen die Interessen von Frauen, kritischer Zivilgesellschaft und Migrant*innen. Mit der Einsetzung der Enquetekommission Linksextremismus gelang es der AfD, zeitweise eine Kultur des Verdachts im Land etablieren, nach der selbst der DGB im Ruch des Linksextremismus stand. Die Partei ist das Sammelbecken der extremen Rechten im Land. Die »Junge Alternative« setzt sich nicht nur im Stil der NPD-Nachwuchsorganisation »Junge Nationalisten« in Szene, sondern auch inhaltlich. Die rechtsextremen Netzwerke der AfD innerhalb und außerhalb des Parlaments sind umfangreich dokumentiert. Das in Sachsen-Anhalt ansässige, neurechte »Institut für Staatspolitik« gilt als Strategieberater der ostdeutschen AfD-Landesverbände. Die dort kreierten politischen Begriffe und Themen trägt die AfD ins Parlament.
Wähler*innen und Wahlergebnis
In den Analysen der Wähler*innen der AfD wird erkennbar, dass die Partei im Kern von Männern mittlerer beruflicher Qualifikation (Facharbeiter, Arbeitslose) gewählt wird. Stark ist die Gruppe der unter 30-Jährigen mit 20 Prozent in der AfD-Wähler*innenschaft vertreten. Ein Wert, der sich relativiert, wenn man die hohe Abwanderung der jungen Generation aus Sachsen-Anhalt bedenkt. Ebenfalls stark vertreten ist die AfD in der mittleren Generation 40 plus. Diese erfuhr ihre politische Sozialisation sowohl in der Endphase der DDR, als auch im Umbruch der 1990er Jahre. Vor zwanzig Jahren wählten diese die damals in Sachsen-Anhalt erfolgreiche DVU, die 1998 mit 12,8 Prozent in den Landtag einzog. Das damalige Wahlverhalten erfährt nun eine intergenerationelle Fortsetzung.
Zwar hat die AfD Prozentpunkte und somit Wähler*innen verloren. Doch fällt diese Schwächung angesichts ihrer Stärke von 20,8 Prozent gering aus. Nur das Quorum für die eigenständige Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erreichte die AfD nicht. Damit dürfte der von der Partei schon geplante Untersuchungsausschuss zum Thema Linksextremismus wegfallen. Mit ihren Abgeordneten kann die AfD aber im neuen Landtag von Sachsen-Anhalt weiterhin extrem rechte Politik in aller Öffentlichkeit machen und die damit verbundene Reichweite erzielen.
Die neue Stärke der CDU wird diese nicht zwangsläufig auf den Pfad eines liberalen Konservatismus zurückführen. Regierungschef Haseloff hatte in der vergangenen Legislatur alle Mühe zu verhindern, dass seine CDU politisch zur AfD überläuft. Der Landesverband ist politisch ähnlich rechtskonservativ gepolt wie der in Sachsen. Die Partei regiert inzwischen seit 20 Jahren ununterbrochen im Land. Entsprechend hat sich eine politische Kultur etabliert, in der sich die CDU als Staatspartei versteht und so agiert. In den Regionen führt sie mit wenigen Ausnahmen das Zepter im vorpolitischen Raum. Wer dort gesellschaftlich agieren will, muss sich mit einer konservativen Hegemonie auseinandersetzen.
Auswirkungen der Wahl
In der Woche nach der Wahl dominierte die Sichtweise, in Sachsen-Anhalt sei die politische Kultur im Wortsinn noch einmal aufrecht erhalten worden, wenn sie auch nur mit einem blauen Auge davongekommen sei, denn die AfD wurde wider Erwarten nicht stärkste Kraft im Parlament. Das Ergebnis zeigt jedoch: In Sachsen-Anhalt gibt es einen übermächtigen rechten und konservativen Block in der Gesellschaft neben, dem linke und progressive Akteur*innen schlicht um ihre Existenz kämpfen müssen. Schon jetzt ist das Klima für die Arbeit von kleinen Initiativen und Projekten in den Regionen rau. Wer sich offen gegen die AfD bekennt, gerät rasch unter Rechtfertigungsdruck. In Städten wie Aschersleben, Bernburg und Köthen wird im weitesten Sinne des Begriffs linkes Engagement von Netzwerken und Einzelpersonen getragen. Von ihrer Kraft und ihrem Durchhaltevermögen hängt es ab, ob und was den rechten Hegemonie-Konzepten und der gesellschaftlichen Leere in den Regionen des Landes entgegengesetzt werden kann. Die Erfahrung der zurückliegenden zwei Jahrzehnte zeigt, dass Menschen, die sich in diesen Orten engagieren, irgendwann ausgebrannt sind oder den sozialen und psychischen Druck rechter Akteur*innen vor Ort nicht mehr aushalten und in den Westen oder nach Leipzig gehen. Wer dies ändern will, muss Menschen und kleine Strukturen langfristig und verlässlich unterstützen, wie es etwa das »Netzwerk Polylux« aus Berlin tut.
In der vor dem Hintergrund der Corona-Krise angespannten Finanzlage des Landes zu führenden Verhandlungen über den Landeshaushalt werden die Spielräume für Bildung, Soziokultur, Jugendarbeit und Gleichstellung enger werden. Die Auswirkungen des Wahlerlebnisses auf antifaschistische, kulturelle, migrantische und soziale Projekte sind noch nicht absehbar. Aber eine spürbare Erleichterung gegenüber den zurückliegenden Jahren ist nicht zu erwarten.
Parlamentarisch werden CDU und AfD in den nächsten fünf Jahren das Land dominieren. Ihr Ringen um ihr jeweiliges Profil gereicht emanzipatorischen Ideen nicht zum Vorteil. Ob es der CDU gelingt, mit der AfD im Nacken gesellschaftspolitisch ein Roll-back in Gang zu setzen, hängt wohl auch davon ab, ob außerhalb von Sachsen-Anhalt ein nennenswertes Interesse an der Entwicklung des Landes entsteht – auch wenn die AfD gerade einmal kein Spektakel inszeniert.