Wer nix hat, gibt Unterschrift
Von Nelli Tügel
Es kommt nicht oft vor, dass sich radikale Linke im Verein mit Schauspielern, MdBs und Professorinnen bittend »an die Bundesregierung« wenden, doch Ende April war es so weit: In einem offenen Brief forderte ein breites Bündnis die Regierung zu Umverteilung durch eine progressive Steuerpolitik auf. Initiiert hatte den – durch eine Petition ergänzten – Brief das Netzwerk »Wer hat, der gibt«. Dieses war im vergangenen Sommer von Teilen der linken Szene gegründet worden, um in Corona-Fragen sprech- und handlungsfähig zu werden und zu erreichen, dass zur Finanzierung der Corona-Folgen Reiche und Besitzende zur Kasse gebeten werden. Eine wirkliche Bewegung ist daraus bislang nicht geworden, und auch besagter offener Brief ist nicht mehr als eine Diskursintervention, der Versuch also, das öffentliche Reden über die Corona-Krise von links zu beeinflussen.
Weder gegen die in dem Brief aufgestellten Forderungen – u.a. Wiedereinführung einer effektiven Vermögenssteuer, einmalige Vermögensabgabe, effektive Besteuerung großer Erbschaften und Schenkungen – noch gegen Diskursinterventionen ist grundsätzlich etwas einzuwenden. Der Brief aber demonstriert eher linke Handlungsunfähigkeit. Sie spiegelt sich etwa darin wider, dass als Adressatin die Bundesregierung gewählt wurde – aber völlig offen bleibt, wie man, außer mit Bitten, diese zu Umverteilung bewegen könnte.
So signalisieren die Unterzeichner*innen an jene Öffentlichkeit, die man mit den Steuerforderungen begeistern will, die Bundesregierung würde die schon umsetzen, wenn sie nur inhaltlich überzeugt werden kann. Es ist davon auszugehen, dass einige der Unterzeichner*innen sehr wohl um den Druck von unten wissen, den es für eine solche »Überzeugungsarbeit« bräuchte, doch bleibt dieses Thema im Brief unerwähnt. Er ist somit auf einen Katalog von stabilen reformerischen Forderungen reduziert, ohne aber den Hauch einer Idee davon zu vermitteln, wie sie durchgesetzt werden könnten. Die einzige vage, wenn auch nicht einmal ausformulierte Perspektive bleibt die einer grün-rot-roten Bundesregierung.
Dabei ist es keineswegs so, dass ein Text, Brief oder eine Forderung automatisch »besser« oder linker werden durch Wortradikalität – darum geht es nicht, sondern um einen realistischen Plan, wie etwas erreicht werden kann. Ich bin überzeugt davon, dass heute selbst einfache Umverteilung, etwa durch eine progressive Steuerpolitik, hart erkämpft werden muss und dass Klassenpolitik (Steuerpolitik gehört dazu) nun einmal Klassenkampf erfordert. Übrigens auch unter einer grün-rot-roten Koalition: Wenn die Reaktionen auf den Berliner Mietendeckel eines gelehrt haben, dann doch dies. Da sich in dem Brief von »Wer hat, der gibt« die Frage der Durchsetzung der aufgestellten Forderungen aber nicht einmal stellt, führt er aufs Glatteis.
Da sich in dem Brief von »Wer hat, der gibt« die Frage der Durchsetzung der aufgestellten Forderungen nicht einmal stellt, führt er aufs Glatteis.
Also keine Petitionen, offenen Briefe oder Unterschriftensammlungen mehr? Nicht unbedingt. Denn dass es auch anders geht, zeigt eine Kampagne, die sich ebenfalls um Reformen und Unterschriften dreht und die doch einen ganz anderen Geist atmet: »Deutsche Wohnen und Co Enteignen«.
Zur Erinnerung: »Deutsche Wohnen und Co Enteignen« will unter Anwendung des Grundgesetztes (Artikel 15) und mithilfe eines Volksbegehrens die Berliner Landesregierung dazu verpflichten, ein Gesetz auszuarbeiten, mit dem Konzerne, denen mehr als 3.000 Wohnungen gehören, enteignet und die Wohnungen in Gemeineigentum überführt werden sollen, verwaltet durch eine demokratisch geführte Anstalt des öffentlichen Rechts.
Auch das ist eine (radikal)reformerische Forderung: Anders als der Steuerbrief von »Wer hat, der gibt« aber hat »Deutsche Wohnen & Co Enteignen« stets ganz klar gemacht – nach innen wie nach außen –, dass für die Umsetzung dieser Ziele sowohl die massenhafte Selbstorganisierung von Mieter*innen als auch anhaltender großer Druck von der Straße nötig ist – und daran beständig gearbeitet. Das Sammeln von Unterschriften (derzeit in der zweiten Phase, nach der dann im September über das Volksbegehren abgestimmt werden kann) dient hier als Mittel, Menschen überall in der Stadt zu mobilisieren und zu organisieren. Man ist sich der Macht des Gegners bewusst und darauf eingestellt, dass es noch einiges an Kraft und Ausdauer braucht, um wirklich die angestrebte Vergesellschaftung der 250.000 Wohnungen zu erreichen. Indem die Besitzfrage gestellt wird, scheint hier sogar noch die Vision einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft auf.
»Deutsche Wohnen & Co Enteignen« demonstriert, dass auch Diskursinterventionen nur dann Macht entfalten können, wenn sie mit echter Bewegung korrespondieren. Und dass Appelle an Regierungen wenig bringen. Gewinnen müssen wir schon selbst, auch wenn es mühsam ist und lange dauert.