Free Lina
Das Verfahren gegen die Leipzigerin ist Teil einer größeren Verfolgungswelle gegen Linke
Es ist ein Bild mit Suggestivkraft: Mit Sturmhauben vermummte Polizeibeamte stehen neben einem Hubschrauber, aus dem eine junge Frau in Handschellen aussteigt. Das Foto wurde am 6. November 2020 von vielen Medien verbreitet. Die junge Frau ist Lina E., die an diesem Tag dem Haftrichter der Generalbundesanwaltschaft (GBA) in Karlsruhe vorgeführt wurde. Auf den ersten Blick sehen die Fotos, die vom Geschehen verbreitet wurde, aus wie Schnappschüsse eines zufällig gut postierten Agenturfotografen − tatsächlich sind sie Produkt einer gezielten Inszenierung. Einer Inszenierung, die vor allem eines transportieren sollte: Hier ist eine besonders gefährliche Person gefasst worden, eine Staatsfeindin, eine »linke Terroristin«.
Die Reaktion der bürgerlichen Medien auf die Festnahme von Lina E. und die Szene in Karlsruhe fiel entsprechend aus. »Kommandoführerin Lina E. in Haft: Staat konsequent gegen Linksextreme«, schrieb das Magazin Focus. Hier agierten »Linksextremisten fast wie die RAF«, behauptete der Berliner Tagesspiegel. Und Bild gab der Inszenierung noch eine sexistische Note. »Chefchaotin im Minirock zum Richter«, titelte das Blatt. Der Generalbundesanwalt sei sich sicher, hieß es im Text, dass die Studentin aus dem Leipziger Stadtteil Connewitz »ein führender Kopf der linksextremen Szene ist«.
Auch dieses Medienecho zeigt, dass die Behörden mit dem Verfahren gegen Lina E. vor allem eine politische Agenda verfolgen und ein Narrativ bedienen: das vom »linken Terrorismus«. Vieles spricht für die Einschätzung, dass die Festnahme der Leipzigerin vorläufiger Höhepunkt einer Offensive der Ermittlungsbehörden gegen die radikale Linke ist – vor allem der Umstand, dass im Herbst 2020 gleich mehrere Verfahren auf Grundlage des Paragrafen 129 des Strafgesetzbuches (StGB), Vorwurf der »Bildung einer kriminellen Vereinigung«, eröffnet wurden. So hatte es Ende August bereits eine Razzia bei 24 Objekten der Gruppe »Roter Aufbau Hamburg« gegeben.
Lina E. wird vorgeworfen, sie sei an Angriffen auf Neonazis beteiligt gewesen. Die Leipziger Studierende der Erziehungswissenschaft wird beschuldigt, an zwei Überfällen auf Eisenacher Neonazis beteiligt gewesen zu sein und einen rechten Kampfsportler in Leipzig ausgespäht zu haben. In einer Mitteilung der GBA hieß es, sie – die einzige Frau in der Gruppe − habe eine »herausgehobene Stellung« innegehabt und »das Kommando geführt«. Die »Soligruppe für Lina« hat keine Zweifel daran, dass das Verfahren Teil einer Repressionswelle und politisch motiviert ist.
»Die mediale Inszenierung diente zweifellos der Vorbereitung eines großen Prozesses und der Legitimierung massiver Ermittlungen gegen Antifaschist*innen«, erklärte Helena Zimmermann, Sprecherin der Gruppe, im Gespräch mit ak. Dass die Fotos aus Karlsruhe an Bilder der Vorführung rechter Terroristen erinnern, etwa von Stephan Balliet, dem Attentäter von Halle, und Stephan Ernst, dem Mörder von Walter Lübcke, sei kein Zufall. Es diene dazu, die Erzählung der »Hufeisentheorie« zu reproduzieren und »ein Bild von gefährlichen Linken zu schaffen«.
Viele große Verfahren
Auch die Verteidiger von Lina E., die Anwälte Björn Elberling (Kiel) und Erkan Zünbül (Leipzig), sehen eine politische Agenda hinter dem Vorgehen. »Natürlich soll das Bild von der gefährlichen Terroristin heraufbeschworen werden«, sagte Elberling gegenüber ak. Mit dem Helikopterflug zum Ermittlungsrichter samt Gelegenheit für Paparazzi-Fotos sei das Narrativ vom »linken Terrorismus« bedient worden. Anwälte und Soligruppe sind sich ebenfalls in der Einschätzung einig, dass es sich nicht rechtfertigen lässt, dass die Bundesanwaltschaft das Verfahren führt. Klassischerweise übernimmt diese die Ermittlungen nur in schweren, staatsgefährdenden Fällen, zum Beispiel nach Paragraf 129a StGB (»Bildung einer terroristischen Vereinigung«). Bei Verfahren nach 129 StGB ermittelt sie nur in Fällen von »besonderer Bedeutung«. »Die Bundesanwaltschaft ist eine politische Behörde, deswegen drängt sich auf, dass es hier politisch um den Kampf gegen die radikale Linke geht«, sagte Elberling. »Dafür werden die üblichen Kampfbegriffe aus dem Staatsschutzstrafrecht bemüht und versucht, eine besondere Gefährlichkeit herbeizuschreiben«, so der Anwalt weiter. Die finde sich in der Akte aber nicht wieder – »selbst wenn man annähme, die Vorwürfe seien zutreffend«, meint Elberling. Auch die Soligruppe hält die Begründung für die Zuständigkeit des GBA für »mehr als fadenscheinig«.
Der Fall Lina E. wird oft − etwa in dem bei Demonstrationen verbreiteten Slogan »Freiheit für Lina, Dy & Jo!« − in einem Atemzug mit den Fällen der Stuttgarter Antifaschisten Jo und Dy genannt, denen ebenfalls Angriffe auf Faschist*innen vorgeworfen werden. Der Prozess gegen die Stuttgarter soll im April beginnen. Helena Zimmermann von Linas Soligruppe verweist auf weitere Verfahren, denen der Paragraf 129 oder 129a zugrunde liegt. So gegen den Roten Aufbau Hamburg, gegen »Antiautoritäre« in Berlin und Athen, das Verfahren nach Paragraf 129a gegen mehrere Betroffene in Frankfurt am Main. »Wir gehen nicht von einem Zufall aus, wenn wir sehen, dass innerhalb eines Jahres so viele große Verfahren gegen Linke eröffnet werden«, sagte Zimmermann. Das Verfahren gegen Lina E. reihe sich ein »in eine massive gegenwärtige Repressionswelle gegen linke Strukturen«. Für die Soligruppe haben alle diese Verfahren eines gemeinsam: »Die Tatvorwürfe stehen in keinem Verhältnis zu Aufwand und Darstellung − im starken Gegensatz zu Vorwürfen gegen rechte Netzwerke.«
Knallharte Haftbedingungen
Die Einstufung als Terroristin schlug sich auch in den Haftbedingungen von Lina E. nieder. Sie habe fünf Tage auf einer harten Ledermatratze schlafen müssen, berichtete die Soligruppe: »Das Metallgitter vor dem Fenster war so engmaschig, dass kein kleiner Finger hindurch passte.« In der Tür habe sich ein Fenster befunden, das eine ganztägige Überwachung ermöglichen sollte. Nachts wurde die Gefangene alle zwei Stunden durch »Lebendkontrollen« sowie durch eine kontinuierliche Beleuchtung der Zelle vom Schlafen abgehalten. Diese Maßnahmen hätten wochenlang angehalten. Mittlerweile habe sich die Lage normalisiert. »Lina geht es den Umständen entsprechend gut«, so Sprecherin Zimmermann. Sie sei sehr gefasst und komme mit der Situation in Haft relativ gut zurecht.
Für Linas Anwälte ist die U-Haft in diesem Verfahren, wie Zünbül sagt, »auch ein symbolischer Akt, der öffentlich den vermeintlichen Erfolg der Ermittlungsbehörden aufzeigen soll«. Ihre Mandantin sei bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. »Eine Fluchtgefahr, die ja die Voraussetzung eines Haftbefehls ist, sehen wir in keinem Fall«, sagte Zünbül. Mittlerweile wachsen auch bei Vertretern der bürgerlichen Medien Zweifel daran, dass das Verfahren gerechtfertigt ist. Die Zeit präsentierte Lina E. in einem langem Beitrag Ende März als vergleichsweise harmlose Studierende, bei der von den klandestinen Aktivitäten, die ihr unterstellt werden, keine Rede sein könne.
Der Paragraf 129 ist auch als »Schnüffelparagraf« bekannt, denn die Verfahren führen oft nicht einmal zu einer Anklage.
Für die Verteidiger drängt sich der Verdacht auf, dass die Ermittlungsbehörden nur deshalb ein großes Rad in dem Fall drehen, um den Aufwand, den die Soko Linx bei der Verfolgung Linker treibt, zu rechtfertigen. »Hier soll offenbar ein Erfolg der Arbeit der Soko präsentiert und damit auch deren Existenzberechtigung begründet werden«, sagte Elberling. Die Sonderkommission war Ende 2019 aufgestellt worden, um »linksextreme Straftaten« in Leipzig zurückzudrängen. Zünbül weist darauf hin, dass die Soko bisher keine nennenswerten Ermittlungsergebnisse präsentierten konnte. Die Anwälte erklärten, sie seien gespannt, wie die Bundesanwaltschaft die Behauptung, es handle sich hier um eine feste Organisation, belegen wolle. »Die Ermittlungsbehörden gehen erkennbar von Verdachtsmomenten hinsichtlich der Einzeltaten aus und definieren alle, die die begangen haben sollen, schlicht als Organisation«, so Elberling.
Der Paragraf 129 ist auch als »Schnüffelparagraf« bekannt, denn die Verfahren führen oft nicht einmal zu einer Anklage. Dafür bieten sie den Ermittlungsbehörden die Handhabe für umfangreiche Durchsuchungen, für Observierungen und anderes. »Der Paragraf 129 dient vor allem der Durchleuchtung der radikalen Linken, die Sicherheitsorgane haben dadurch erheblich mehr Befugnisse«, sagte Halil Simsek, Aktivist vom Roten Aufbau Hamburg, gegenüber ak. Ein so großes Verfahren verursache Aktivist*innen der Gruppe erhebliche Kosten und binde Kräfte. Es sei »auch ein politisches Instrument, um zu zeigen: Wir haben euch auf dem Schirm, also stellt eure politische Arbeit ein«. Das wäre aber fatal, so Simsek, »denn weniger Organisierung und politische Praxis wird uns nicht helfen«. »Sie wollen uns isolieren, also müssen wir genau das Gegenteil machen und die Öffentlichkeit suchen«, sagt der Aktivist.