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Wenn das Militär auf Diversität setzt

Über queerfeministische Potenziale und neue Aufgaben der Friedensbewegung

Von Ralf Buchterkirchen

Den Jungen vom Kind zum Manne machen«, die »Schule der Nation« und andere Schlagwörter bringen die gegenseitige Wechselwirkung von Militär und der Konstruktion von Männlichkeit auf den Punkt und stehen nicht nur historisch für ein wesentliches Erscheinungsmerkmal des Militärs. Im Gegensatz dazu werden Friedensaktivismus und Militärverweigerung als unmännlich oder weiblich dargestellt. Diese Bilder werden bisher zu wenig hinterfragt, auch bilden sie nicht das gesamte Spektrum ab. Frauen in der Bundeswehr, das scheinbare Streiten für Frauen- und Homosexuellenrechte als militärischer Interventionsgrund, eine an Diversität orientierte Werbung für den Militärdienst: Auf vielen Wegen versucht das Militär, dem alten Bild »Mann gleich Militär« ein zweites, vermeintlich emanzipatorischeres, hinzuzufügen – ohne aber das alte aufzugeben.

Auf Seiten des Militärs bzw. der Politik lassen sich einige Verschränkungen von Militärischem und Geschlecht ablesen. So werden Geschlechterverhältnisse, Rassismus und westlicher Paternalismus als hegemoniale Praktiken des Globalen Nordens, also »des Westens«, gegenüber dem Globalen Süden immer offenkundiger. In diesem Kontext wurde von der feministischen Friedens- und Konfliktforschung der Begriff »embedded feminism« geprägt. Er thematisiert die Vereinnahmung von Feminismus für hegemoniale westliche Politiken. In queerfeministischen Zusammenhängen wird darüber hinaus der Begriff »Homonationalismus« genutzt, um die Indienstnahme ehemals emanzipatorischer Forderungen der Frauen-/Lesben- und der Schwulenbewegung für hegemoniale, imperialistische Politiken des Westens zu thematisieren. Es sollte aufmerken lassen, wenn etwa Horst Seehofer Frauen- und Homosexuellenrechte für Afghanistan fordert, nicht aberfür Bayern.

Wie angesprochen, ist die Werbung für das Militär erstaunlich divers geworden – auch wenn die Diversität sich in der Realität des Militärs selbst so nicht wiederfindet. Frauen kommen in der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr überproportional häufig vor, Trans*personen werden vom Militär für Buchveröffentlichungen und Talkshows herumgereicht. Auf der anderen Seite wird auf dem YouTube-Kanal der Bundeswehr ebenso der »harte Mann«, der männliche Held – natürlich cis – heraufbeschworen. Der Unterschied zwischen Serien wie »Mali«, »KSK« und »Die Rekruten« sowie der im letzten Jahr erschienenen Staffel »Die Rekrutinnen«, die vom Aufbau her viel persönlicher ist, springt hier ins Auge.

Pink als antimilitaristische Farbe

Auf Seiten der Friedensbewegung ist eine Ablehnung »heldenhafter Männlichkeit« Konsens, teilweise sogar konstitutiv. Am Beispiel der Auseinandersetzungen in den USA gegen den Vietnamkrieg macht das der Kulturwissenschaftler Dirck Linck plastisch deutlich: »Der heldenhafte Körper geriet nicht zufällig in den Blick; er war den Jugendlichen extrem präsent als massenmedial zirkulierender Körper, der in Vietnam tötete und aus Vietnam als fetischisierter Leichnam zurückkehrte. Als vollkommener Ehemann. Er war Teil der inneren Codierungen der Jugendlichen, deren Widersprüchlichkeit neue Identifikationen hervortrieb. Wer jetzt noch auf der Suche nach Identität war, orientierte sich an ›Weiblichkeit‹ und verweigerte den Kriegsdienst.«

Ganz so schwarz-weiß funktionierte es aber doch nicht. So ist die Friedensbewegung auch immer ein Kind ihrer Zeit gewesen und wahrlich nicht homogen. Klassische Kriegsdienstverweigerungsarbeit, ehemals ein Schwerpunkt etwa der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), hinterfragte Geschlechternormen eher nicht, sondern beschränkte sich auf die Ablehnung des Militärischen und war geleitet von der Angst vor dem Ausbruch eines Krieges zwischen den Blockmächten. Dem entgegen gab es selbstverständlich immer auch eine Frauenfriedensbewegung mit wechselhaftem Einfluss.

In den letzten Jahren zeigen sich jedoch deutliche Verschiebungen in den Kontexten der Friedensbewegung. Das wird deutlich, wenn man auf die Aktionsformen blickt: Queere Aktionsformen mit gezieltem Angriff auf Männlichkeiten finden zunehmend Verbreitung. Dabei werden Fragen der gesellschaftlichen Männerdominanz und der Verwobenheit von hegemonialen Männlichkeiten und Militär thematisiert.

Es sollte aufmerken lassen, wenn Horst Seehofer Frauen- und Homosexuellenrechte für Afghanistan fordert, nicht aber für Bayern.

Pink ist zur beliebten antimilitaristischen Farbe insbesondere bei antimilitaristischen (und nicht explizit politisch oder religiös begründet pazifistischen) Gruppen geworden. So wurden Gebäude auf dem Gelände des ehemaligen Bombenabwurfplatzes in der Kyritz-Ruppiner-Heide pink angestrichen, werden Rekrutierungszentren wie in Berlin entsprechend verschönert und tragen Flyer häufig diese Farbe.

Dabei steht die direkte Konfrontation – das Setzen von Bildern – im Vordergrund, weniger die friedenspolitische Analyse und die klassische Friedensarbeit mit Flyern und Mahnwachen. Die beiden Ebenen bedingen sich einander, vielfach gibt es Verschränkungen, was wiederum zu internen Auseinandersetzungen in der Friedensbewegung oder innerhalb der friedensbewegten Gruppen führt.

Zudem haben Forschungsgebiete, die sich mit dem Militarismus auseinandersetzen, beispielsweise die Forschung zur NS-Militärjustiz, zunehmend Männlichkeitsentwürfe als Machtmittel in den Fokus genommen. Auch hier bieten sich neue Ansatzpunkte für die Friedensbewegung.

Inhaltlich und strategisch gewinnen die Themen Männlichkeitsentwürfe und Geschlechterbilder ohnehin zunehmend an Bedeutung. Alle größeren Friedenszeitungen haben inzwischen Schwerpunkte zum Thema Gender gebracht. Die DFG-VK hat im letzten Jahr ein sehr erfolgreiches Symposium zu intersektionaler Friedensarbeit mit ungefähr 100 Teilnehmenden abgehalten, mit bertha – Werkstatt für intersektionale Friedensarbeit wurde dieser Prozess inzwischen auch im Verband institutionalisiert. Beim Bund für soziale Verteidigung ist seit Jahren die AG Gender aktiv.

Blinder Fleck: Rassismuskritik

Was allerdings noch fehlt, ist ein rassismuskritischer Blick. Hier ist die Friedensbewegung weitgehend blind. Intersektionale Ansätze könnten weiterhelfen. Nur: Warum sollte sich die Friedensbewegung queer-feministisch, rassismuskritisch und intersektional aufstellen? Reicht nicht die traditionelle Friedensarbeit aus? Aus mehreren Gründen ist das nicht der Fall. So verändern sich Protestformen. Die Zeiten großer Massendemonstrationen gegen Kriege sind weitgehend vorbei, möchte man meinen. Das erscheint aber nur so, weil die klassische Friedensbewegung den naheliegenden Schulterschluss zu nichtweißen Antikriegsprotesten nicht geschafft hat. Beispielsweise zu den kurdischen Gruppierungen, die im letzten Jahr gerade nach Einmischungen des türkischen Militärs große Demonstrationen gegen den Syrien-Krieg organisierten.

Überdies: Eine intersektionale Analyse von Konflikten führt zu neuen friedenspolitischen Strategien und Antworten. Kriege und Konflikte treffen Menschen in unterschiedlicher Art und Weise und haben verschiedene Wirkungen. Erst die kritische Analyse und Reflexion – auch verbunden mit Selbstreflexion – ermöglicht fundierte Erkenntnisse und passgenaue Lösungen.

An einem einfachen Beispiel lassen sich die Ebenen von intersektionalem Denken in der Friedensarbeit umreißen: Antirekrutierungsarbeit sollte auf alle potenziellen Rekrut*innen abzielen. Bisher zielt sie aber überwiegend auf weiße junge Männer. Inwieweit es beispielsweise migrantische Auseinandersetzungen zum Thema gibt, hat die klassische Friedensbewegung bislang nicht interessiert. Dabei sind folgende Fragen wichtig: Warum gehen People of Color (PoC) zur Bundeswehr? Hat das etwas mit der erwarteten Anerkennung zu tun? Oder sind es geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt aufgrund rassistischer Diskriminierung? Wie verträgt sich das mit rassistischen und neonazistischen Skandalen beim Militär? Hier spielen also Klasse und »race« eine Rolle. Wie erreicht die Friedensbewegung diese Personen? Analog kann die Frage gestellt werden: Was treibt Frauen in die Bundeswehr? Gibt es hier spezifische Gründe? Wie müssen Konzepte der Antirekrutierung aussehen, die diese Gruppen einbeziehen? Und: Mit welcher Position und welchen innewohnenden Privilegien vermitteln Aktive in der Friedensbewegung Antirekrutierungsarbeit?

Zuletzt noch zur queer-feministischen Sicht. Dort gibt es bisher kaum Verschränkungen zur Friedensbewegung, obwohl diese offenkundig sind. Queer-feministisch könnte man das Militär als normierende Machtinstanz enttarnen und attackieren. Queer-feministisch ließen sich hier kreative Strategien entwickeln, um Männlichkeiten zu verunsichern – und das Militär anzugehen. Aber während die queer-feministischen Gruppen derzeit noch in der allgemeinen Reflexion von Geschlecht in der Gesellschaft gefangen sind, sieht man, wie sich die größeren schwulen und teilweise auch lesbischen Kontexte mit dem Militär solidarisieren: die Bundeswehr auf Christoper Street Days oder schwul-lesbischen Straßenfesten oder die schwul-lesbische Karrieremesse mit selbstverständlicher Beteiligung der Bundeswehr. Statt, dass sich die sexuell marginalisierteren Gruppen gegen staatliche und militärische Hegemonie wenden, suchen sie teils bewusst den Schulterschluss. Queer-feministisch und friedenspolitisch gibt es auch hier eine Aufgabe.

Ralf Buchterkirchen

ist Wirtschaftsinformatiker*in und aktiv in der DFG-VK. Er bloggt auf verqueert.de.