Drei Jahrestage lebendiger Selbstregierung
Rosa Luxemburg, die Pariser Kommune und Kronstadt verbindet mehr als das aktuelle Jubiläumsjahr
Vive la Commune!« Dieser Aufruf war vor 150 Jahren für viele Französinnen und Franzosen ein Hoffnungsschimmer im vom deutsch-französischen Krieg zerrütteten Land. In mehreren Städten riefen Arbeiter*innen und Handwerker*innen 1870 und 1871 autonom Kommunen aus. Neben der bekannten Pariser Kommune kam es auch in Lyon, Marseille, Toulouse und weiteren Städten zur Proklamation von Kommunen. Die Forderung nach der »Kommune« war Ausdruck der damaligen sozialen Kämpfe oder anders: des damals gegenwärtigen Kampfs gegen Kapitalismus und Krieg.
Landesweit gab es Angriffe auf staatliche Institutionen wie Parlamentsgebäude oder Gefängnisse und ökonomische Ziele wie Banken und Luxusgeschäfte. Den Kommunard*innen ging es nicht um einen Regierungswechsel oder andere Formen der staatlichen Verwaltung, sondern um eine Ablehnung des bürgerlichen Staates. Die proletarische Kommunebewegung in Frankreich 1870/71 erkannte die Notwendigkeit, den Staat zu zerschlagen und versuchte, ihn durch eigene revolutionäre Komitees und Räte zu ersetzen, die die Autonomie der Aufstandsbewegung sichern sollten. Damit einher ging auch die Ablehnung des nationalen Zentralismus. Für die Kommunen in den Provinzen sollte Paris nicht die Hauptstadt von Frankreich werden, sondern die einzelnen Städte sollten sich zu einem autonomen Kollektiv in einer föderativen »Weltkommune« verbinden.
Diesem internationalistischen und radikaldemokratischen Anspruch der Kommunen zum Trotz wurde insbesondere die Pariser Kommune von der orthodox-kommunistischen Geschichtsschreibung vereinnahmt und von Lenin als Vorläuferin des Roten Oktober 1917 angesehen. Am dreiundsiebzigsten Tag der Russischen Revolution soll Lenin sogar im Schnee vor dem Winterpalais in St. Petersburg getanzt haben, da sich an diesem Tag »seine« Revolution einen Tag länger behauptet hatte als die Pariser Kommune.
Basisdemokratie statt Avantgarde
Gegen diese Verfestigung der Macht der Bolschewiki regte sich revolutionärer Widerstand, der sich mit einigem Recht ebenfalls als Erbe der Kommune verstehen konnte. 1921 spitzte sich die Versorgungssituation in den Städten der jungen Sowjetunion dramatisch zu, ebenso wurde die bäuerliche Bevölkerung massiv unterdrückt und ausgebeutet. Im gesamten Land kam es zu Protesten gegen die zunehmend autoritäre Herrschaft der Bolschewiki. Enttäuschte und wütende Mitglieder der Kommunistischen Partei zerrissen ihre Mitgliedsausweise, die Bäuerinnen und Bauern wehrten sich gegen die Zwangskollektivierung und in den Fabriken versammelten sich streikende Arbeiter*innen. Eine besondere Manifestation dieser Unzufriedenheit war der Aufstand der Matrosen von Kronstadt, einer Festung vor St. Petersburg.
Die Matrosen erkämpften 1917 nahezu alle wichtigen Siege der Revolution, behielten aber gleichzeitig ihre libertären Überzeugungen und demonstrierten früh für Demokratie und Unabhängigkeit. Unter dem Slogan »Alle Macht den lokalen Sowjets – Keine Macht der Partei« erklärten sie in einer Resolution, die im März 1921 vor zehntausenden Einwohner*innen St. Petersburgs verlesen und angenommen wurde, dass die Kommunistische Partei nicht mehr den Willen der Bevölkerung ausdrücke und neue Sowjets gewählt werden sollten. Die Matrosen forderte damit eine autonome Selbstverwaltung der Stadt und stellten sich damit gegen den Zentralismus der Partei- und Staatsführung.
Diese Bewegungen verfügten über keinen geschlossenen und vorgefertigten Entwurf für eine zukünftige Gesellschaft, sondern erprobten ihre Praktiken in ihren Aktionen.
Und noch ein drittes Jubiläum: 1871, im Jahr der Kommune, wurde Rosa Luxemburg geboren. Das Verhältnis von Masse und Führung sowie von Bewegung und Organisation ist auch bei ihr ein immer wiederkehrendes Thema. Als Journalistin und Parlamentarierin, Rednerin und Agitatorin verband sie stets Theorie und Praxis revolutionärer Bewegungen und fragte sich dabei, wie Demokratie und linke Selbstorganisierung aussehen könnten. Insbesondere in ihrem Text »Zur russischen Revolution« hatte sich Luxemburg zur Frage der Demokratie in revolutionären Organisationen sowie zu ihren Vorstellungen einer neuen Gesellschaft geäußert und kritisierte Lenin darin scharf. »Aus ihren Schriften«, so die Sozialwissenschaftlerin Miriam Pieschke in einem jüngst im Berliner Dietz Verlag erschienenen Lesebuch zu Rosa Luxemburg, »geht hervor, dass für sie die demokratische Gestaltung der Organisationen der Arbeiter*innenklasse eine Voraussetzung für den demokratischen Transformationsprozess und eine sich daraus entwickelnde demokratische sozialistische Gesellschaft ist.«
In der Partei gegen die Partei
Sowohl die Kommune, als auch der Aufstand in Kronstadt und das Denken und Handeln von Rosa Luxemburg richteten sich dabei gegen herrschende (sozialistische) Vorstellungen. Der Internationalismus der Kommunebewegung sperrte sich gegen den nationalen, republikanischen Mythos, dem auch zahlreiche Linke erlagen. Die Matrosen von Kronstadt kämpften gegen Lenin, der zwar einen Volksstaat in Anlehnung an die Pariser Kommune versprochen hatte, doch die Sowjetunion zu einem zentralisierten und quasi-militärischen Staat der Bolschewiki entwickelte. Rosa Luxemburgs oppositionelle Haltung drückte sich in ihrer radikalen Kritik an der SPD sowie in der Gründung des Spartakusbunds und der KPD aus.
Es gibt noch eine – tragische – Gemeinsamkeit. Sie bezahlten ihre oppositionelle Haltung und ihren Kampf gegen die Herrschaft mit ihrem Leben. Während Rosa Luxemburg zusammen mit Karl Liebknecht unter Billigung der sozialdemokratischen Regierung brutal in Berlin umgebracht wurde, ist auch die Kommunebewegung in Frankreich sowie der Aufstand in Kronstadt blutig niedergeschlagen worden. In Kronstadt führte Leo Trotzki die Rote Armee an, sein Befehl war unmissverständlich: »Zusammenschießen! Wie Enten auf dem Teich.« Dem folgten innerhalb von nur 10 Tagen rund 6.000 tote Aufständische sowie knapp 4.000 Verwundete und Gefangene. Die Niederschlagung des Aufstandes bedeutete das Ende einer linken Opposition in der Sowjetunion sowie das Ende des Rätegedankens. Ebenso blutig wurden die Kommunen in Frankreich niedergeschlagen. Allein in Paris fielen bis zu 34.000 Menschen den Massakern der Regierungstruppen zum Opfer. Die letzten aktiven 147 Kommunard*innen wurden am Ende der »Blutigen Maiwoche« vom 21. bis 28. Mai 1871 an der Mur des Fédérés (südliche Mauer des Friedhofs Père Lachaise) hingerichtet.
Doch ist die Erinnerung daran mehr als eine Erinnerung an ihr Scheitern. Selbst für Marx war die größte soziale Errungenschaft der Pariser Kommune nicht mehr und nicht weniger als »ihr eignes arbeitendes Dasein«. Wichtiger als irgendwelche Verordnungen war schlicht die Tatsache ihrer Existenz – mit all ihren Grenzen und Widersprüchen. Die Kommunebewegung wollte ebenso wie die Aufständischen in Kronstadt und Rosa Luxemburg die bisherige Art und Weise, Politik zu machen, verändern. Ihnen ging es nicht nur um die Errichtung neuer Institutionen, sondern um den Versuch der umfassenden Selbstorganisierung der Menschen vor Ort. Die Kommunebewegung in Frankreich entstand auf lokaler Basis in den Nachbarschaften und Stadtteilen sowie auf Basis von Werkstätten als Bewegung von unten und bildete dort eine organisatorische Kraft aus, die Arbeit und Leben verbinden wollte. Ebenso verhielt es sich mit dem Aufstand in Kronstadt. Diese Bewegungen verfügten über keinen geschlossenen und vorgefertigten Entwurf für eine zukünftige Gesellschaft, sondern erprobten ihre Praktiken in ihren Aktionen. Diese Selbstregierung der Menschen stellt eine Demontage von Staat, Kapital und Herrschaft dar und darf lediglich als Ansporn verstanden werden. Trotz alledem.