Ungeschützte Atmosphäre
Die erneute Verurteilung der Gynäkologin Kristina Hänel ist ein weiterer Dämpfer für die feministische Bewegung und den Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen
Von Anne Meerpohl
Der Richterhammer gilt als Symbol für Autorität, Recht und Ordnung. Wie passend, denn das Urteil zu Kristina Hänel Mitte Januar dieses Jahres vor dem Oberlandesgericht Frankfurt stellt einen Akt der autoritären Fremdbestimmung über die Körper zahlreicher Menschen dar. Hier wurde das Recht ausgesprochen, kein Recht auf körperliche Selbstbestimmung zu haben. Ein Recht, das eine völkische Ideologie, die Schwangerschaftsabbrüche unter anderem als Gefahr für die Nation propagiert, erneut als Ordnung bestätigt.
Es war ein Rückschlag für die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit den Paragraphen 218 und 219a, die das Verbot von und die Informationen über Schwangerschaftsabbrüche regulieren. Das Überbleibsel aus der Bismarck’schen Reichsverfassung ist seit seiner Existenz Gegenstand feministischer Kämpfe. Den Zusatz des Werbeverbots haben die Nationalsozialisten ergänzt, dessen Auslegung bis zum heutigen Tag das Leben von Menschen bestimmt. Die Recherche nach möglichen gynäkologischen Praxen, die Abtreibungen durchführen, wird massiv erschwert, wenn dieser Eintrag nicht auf einer Website verzeichnet ist, der Stress erhöht sich und die Umsetzung erfordert mehr und mehr Aufwand.
Das Oberlandesgericht in Frankfurt hat die Verurteilung der Gynäkologin Kristina Hänel nach Paragraph 219a bestätigt. Nachdem sie seit 2017 schon viele rechtliche Wege beschritten hat – von Berufung über Revision zu einer eigenen Anzeige gegen den Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen – ist sie nun rechtskräftig verurteilt worden. In ihrem viel zitierten Twitter-Post schreibt sie, dass sie am Ende finanziell ruiniert wäre, wenn sie die Informationen über Schwangerschaftsabbrüche nicht von ihrer Website entfernen würde.
Die Formulierung, dass Schwangerschaftsabbrüche »in geschützter Atmosphäre« stattfinden, ist die ausschlaggebene Aussage, die das Gericht anscheinend mit einer Wellnessbehandlung verwechselt. Die Aufzählung der medizinischen Methoden wie medikamentös oder chirurgisch werden als Werbung und als »Vermögensvorteil« degradiert. Das zeigt einmal wieder die Doppelmoral, die auf weibliche Körper angelegt wird. Als wären andere ärztliche Behandlungen auf einmal kostenlos und würden niemanden einen finanziellen Ertrag einbringen. Kristina Hänel bringt es in einem Tweet auf den Punkt, in dem sie sich fragt, ob dann auch lieber eine Poststelle über künstliche Kniegelenke informieren sollte.
Zivilgesellschaft, bitte übernehmen
Etwa zwanzig Jahre lang war die Formulierung online und nun erst wurde sie mit einer Strafe belegt. Dies spiegelt einen Aspekt der aktuellen antifeministischen Positionen in der Gesellschaft wider: Eine ungeschützte Atmosphäre für Ärzt*innen und ungewollt Schwangere wird als politisches Kampfmittel gegen ebendiese eingesetzt. Dies gipfelt in Morddrohungen gegenüber Gynäkolog*innen, erschreckenden Holocaust-Vergleichen oder sogenannten Mahnwachen vor Beratungsstellen, um die Beteiligten einzuschüchtern.
In sozialen Medien haben sich viele dem Aufruf angeschlossen über private Kanäle Informationen über Abtreibungen zu verbreiten. Schnell hat sich eine Welle an Instagram Stories, Tweets und Sharepics entwickelt, die die Tatsache, dass der Paragraph 219a für Ärzt*innen und nicht für Privatpersonen gilt, aufgegriffen hat. Es war eine bestärkende Flut an Bildern und Kurznachrichten, die einen kleinen, symbolischen Ausdruck von Selbstbestimmung auf den Weg gebracht hat.
Trotzdem stellt sich hier die Frage, wie wir in einer Gesellschaft Informationen organisieren wollen. Durch das Urteil wurde die Verantwortung der Zugänglichkeit dieses Wissens auf die Zivilbevölkerung übertragen. Auf der einen Seite kann eine Social-Media-Kampagne viele Leute erreichen und einen Lernprozess anstoßen. Allerdings betrifft dies auch nur eine bestimmte Zielgruppe. Auf der anderen Seite können auch das Fehlen medizinischer Fachkenntnisse, über fundierte Beratungen oder allein schon die zugespitzte Tabuisierung zu verfälschten Darstellungen oder einer Verbreitung von Halbwissen führen.
Die Tatsache, dass medizinische und beratende Informationen unter Strafe gestellt werden, ist nicht nur gefährlich für die Personen, die schwanger werden können, sondern auch für einen gesellschaftlichen Diskurs allgemein. In Zeiten, in denen sich um Fakten und Zahlen gestritten wird, und in denen mediale Präsentationsformen instrumentalisiert werden für alternative Wissensvermittlung, ist die Aberkennung von überlebensnotwendigen Informationen als »sachlich« ein Türenöffner für eine selektive Betrachtung und Zugänglichkeit zu Wissen. Und Wissen ist bekanntlich mächtig. In diesem Fall hat es die Macht über zahlreiche Körper und eine selbstbestimmte Lebensgestaltung.
Kristina Hänel und ihre Mitstreiter*innen wollen nun vor das Bundesverfassungsgericht und dort für ihre Berufsfreiheit und für sachliche Informationen einstehen. Um diesen Schritt gehen zu können, war die Urteilsbestätigung und Abweisung der Revision notwendig. Die Berliner Ärztin Bettina Gaber hatte bereits 2019 auf dieser Instanz Beschwerde eingereicht und damit einen Funken Hoffnung ausgelöst, dass die sogenannten Abtreibungsparagraphen in Karlsruhe ihr Ende finden könnten. Es braucht einen flächendeckenden, niedrigschwelligen und kostenlosen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und reproduktive Rechte für alle. Darunter ist kein Frieden zu machen, denn es wird Zeit, dass alle Energie darauf verwendet werden kann, Utopien zu entwickeln und die Gesellschaft zu verändern. Weitere hundertfünfzig Jahre damit zu verbringen den Richterhammer mit Kleiderbügeln zu kreuzen, können wir uns nicht leisten.