Kriegerische Zweckgemeinschaft
Beim Kampf gegen die Region Tigray wird Äthiopiens Regierung vom alten Gegner Eritrea unterstützt
Von Jonas Berhe und Akhnaten Nketia
Als der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed 2018 den Krieg mit dem Nachbarn Eritrea für beendet erklärte, verbesserte sich deren politische Beziehung fast schlagartig. Gleichzeitig zeichnete sich ab, dass die Politik Abiys, mehr Freiheiten auch im Inland zu gewähren, zwar international zu viel Anerkennung führte, jedoch alte und neue regionale Konflikte befeuerte. Vor allem die 2019 erfolgte Auflösung des bis dahin geltenden Regierungsbündnisses und die damit faktisch verbundene Entmachtung der Partei TPLF (Tigray Peoples Liberation Front) führte in der Region Tigray zu massiven Konflikten. Zusätzlich befeuert wurden diese durch die Entscheidung der Zentralregion, die für August geplanten Wahlen auf unbestimmte Zeit, vornehmlich mit Verweis auf die Corona-Pandemie, zu verschieben. Als die TPLF am 09. September trotz des Verbots seitens der Zentralregierung Wahlen durchführen ließ, spitzte sich der politische Konflikt zu und wurde schnell zu einem militärischen Konflikt.
Während sich die internationale Berichterstattung einig ist, dass eritreisches und äthiopisches Militär im Kampf gegen die Regionalregierung Tigrays kooperieren, verneint dies Abiy Ahmed. In seiner Rede vor dem Parlament am 30. November bedankte er sich nichtsdestotrotz bei der eritreischen Bevölkerung und gab an: »Sie standen uns in unserer Zeit der Not zur Seite«. Weiterhin leugnete er in seiner Ansprache jegliche zivilen Opfer, so hätten äthiopische Geschütze »zu 99% keinen Kollateralschaden verursacht.« Auch die stellvertretende Botschafterin Äthiopiens in Berlin, Mulu Worku Yimer, spielt das Geschehene herunter und will nicht von einem Krieg sprechen. Stattdessen betrachtet sie jegliches Vorgehen äthiopischer Streitkräfte als Teil »einer mittlerweile abgeschlossenen Strafverfolgungsmaßnahme seitens der Bundesregierung gegen eine kriminelle Gruppe«.
Diese Verharmlosungsstrategie der Zentralregierung widerspricht zahlreichen Augenzeugenberichten in den sozialen Medien, laut denen verwundete Soldaten der äthiopischen Streitkräfte in eritreischen Krankenhäusern behandelt wurden. Zuvor berichteten vornehmlich eritreische Deserteure, dass in den Wochen vor Kriegsbeginn diverse Flugzeuge mit äthiopischem Militär auf dem Flughafen von Asmara landeten. Dieser wurde später selbst Ziel eines Raketenangriffs durch die TPLF, die auch von einem eritreisch-äthiopischen Bündnis gegen Tigray ausgeht.
Geflüchtete zwischen den Fronten
Die militärischen Auseinandersetzungen treffen vor allem die Zivilbevölkerung in beiden Ländern. Zudem ist das Schicksal der circa 150.000 Geflüchteten aus Eritrea, die sich derzeit in Äthiopien aufhalten, ungewiss. In einem offenen Brief an Premierminister Abiy Ahmed kritisiert die britisch-eritreische Menschenrechtsaktivistin Elsa Chyrum die Zwangsverschleppungen von mehr als 6.000 Eritreer*innen aus den Flüchtlingslagern Hitsats, Mai-Aini, Adi-Harush und Shemelba. Die brutalen Entführungen sollen durch eritreische Soldaten ausgeführt und vom äthiopischen Militär abgesegnet sein. Dies wäre ein handfester politischer Skandal, da die äthiopische Regierung für den Schutz der Geflüchteten in ihrem Land verantwortlich ist. Es drängt sich der Gedanke auf, dass die eritreische Militärdiktatur offensichtlich die Zwangsrückführung als Preis für ihre militärische Intervention auf Seiten der Zentralregierung gefordert hat. Da in den vergangenen Jahren geflüchtete Menschen bei ihrer Inhaftierung in Eritrea mit großer Regelmäßigkeit gefoltert wurden, ist anzunehmen, dass dies auch den Rückgeführten droht.
Doch der Konflikt zwischen der Zentralregierung und dem Bundestaat Tigray hat nicht nur Konsequenzen für die bereits Geflüchteten, er sorgt auch für neue. So befinden sich laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen aktuell mehr als 47.000 äthiopische Geflüchtete im Nachbarland Sudan. Dazu kommen einige Tausend, die innerhalb Äthiopiens vertrieben wurden.
Düstere Zukunftsperspektiven
Mekonnen Mesghena von der Heinrich-Böll-Stiftung vermutet durch die jüngsten militärischen Auseinandersetzungen den Beginn eines »lang anhaltenden Konflikts« in der Region. Die aktuellen Äußerungen aus der Region Tigray unterstützen diese Annahme. Nach der militärischen Einnahme der tigrayischen Hauptstadt Mekele mit rund 500.000 Einwohner*innen durch die Zentralregierung gab Debretsion Gebremichael, bisher unangefochtener Führer der TPLF, an, in einer Art Guerillakrieg gegen die Zentralregierung weiter kämpfen zu wollen. Einen solchen hat die TPLF von 1975 bis 1991 schon einmal geführt und gemeinsam mit den Kämpfer*innen auf eritreischer Seite das ihnen eigentlich überlegene äthiopische Militär bezwungen. Damals war die Zentralregierung der Feind und Isayas Afewerki ihr siegreicher Freund auf eritreischer Seite. Der lange Krieg ebnete sowohl den Weg für die Unabhängigkeit Eritreas als auch für die Machtübernahme der TPLF in Äthiopien.
Infolge von Grenzstreitigkeiten kam es 1998 wieder zu einem Krieg, der diese Freundschaft endgültig zerbrechen ließ. Das von der TPLF angeführte Regierungsbündnis wurde so zum Erzfeind des eritreischen Diktators, der die angeblich drohende Gefahr von äthiopischer Seite jahrelang als Vorwand nutzte, um vor allem die junge Bevölkerung zu einem unbefristeten Militärdienst zu zwingen. Von jungen Eritreer*innen wird diese Praxis häufig als eine der Hauptursachen für ihre gefährliche Flucht über das Mittelmeer angegeben. Trotz der Annäherung beider Staaten nach dem Friedensabschluss von 2018 ist dieser Militärdienst nicht ausgesetzt und besteht in gewohnt repressiver Form fort.
Bei der neugefundenen Einigkeit zwischen Eritrea und Äthiopien handelt es sich also mitnichten um eine Aussöhnung langjähriger Feinde, sondern um das rein zweckrationale Bündnis zweier Regierungen, die in der alten Machtelite des Vielvölkerstaats einen gemeinsamen Gegner sehen, den es zu vernichten gilt. Auch externe Quellen bestätigen die Aussagen der TPLF, wonach diese nicht besiegt sei, sondern lediglich nächste militärische Schritte plane. Nicole Hirte vom GIGA-Institut für Afrika-Studien, spricht gar von einem »strategischen Rückzug« der Volksbefreiungsfront, die einen Kampf in der eigenen Hauptstadt vermeiden wolle.
Bislang lehnt Ministerpräsident Abiy jede internationale Mediation ab, doch ohne eine ernsthafte diplomatische Vermittlung beispielsweise durch Afrikanische Union oder EU ist ein Ende des Krieges in der Region nicht abzusehen. Vielmehr ist eine weitere Internationalisierung der militärischen Auseinandersetzungen zu befürchten. Dies könnte das Horn von Afrika auf Jahre hinaus destabilisieren.