Hellgrüner wirdʼs nimmer
Während der Dannenröder Wald mit Segen der hessischen Grünen gerodet wurde, gab sich die Bundespartei ein neues Grundsatzprogramm
Von Guido Speckmann
Mehr oder minder aus dem Nichts kommend, entstand 2019 die klimapolitische Bewegung Fridays for Future (FfF). Auch in Deutschland mobilisierte sie an ihren Aktionstagen Hunderttausende auf die Straße, global waren es Millionen. Wer sich von dem Druck, den diese Bewegung ausübte, mehr versprach, als dass die Politik über rhetorische Zugeständnisse und das Herumdoktern an Symptomen hinausging, sah sich nicht nur wegen der Corona-Pandemie schnell getäuscht. Und das gerade auch von der Partei, die ihre Wurzeln in der Ökologiebewegung hat und sich als parlamentarischer Arm der neuen Klimabewegung geriert: die Grünen. Symbolisch steht dafür nun der Dannenröder Wald oder das, was vom »Danni« nach der mehrwöchigen Rodung für den Ausbau der Autobahn 49 noch übrig ist.
Zwar positionierte sich die Parteiführung gegen die Abholzung des 300 Jahre alten Mischwaldes in Mittelhessen, doch Robert Habeck und Annalena Baerbock haben es zurzeit noch recht einfach: Sie sind in der Opposition. Das sind die hessischen Grünen nicht. Sie regieren seit 2014 als Juniorpartner zusammen mit der CDU. Grüne in der Regierung – das bedeutet, so manche Kröte zu schlucken. Tarek Al-Wazir, grüner hessischer Verkehrsminister, würgt arg daran: Zwar will auch er nicht die A49, aber er müsse sie als an einen Eid gebundener Minister nun mal fertig bauen. An Weisungen vom Bund und Gesetze müsse man sich halten. Dabei hat selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages diese Haltung in Zweifel gezogen. Dem Gesetz, dem hessischen Staat mag somit gedient sein – was immer Al-Wazir darunter versteht – dem Umwelt- und Klimaschutz nicht. Kein Wunder, dass grüne Lokalpolitiker*innen vor Ort ihren Kolleg*innen in der Staatskanzlei Verrat vorwerfen und die Gründung von Klimalisten in Erwägung ziehen (andernorts sind sie bereits entstanden). Wenig erstaunlich, dass FfF mehrmals twitterte, die Grünen seien keine ökologische Partei mehr.
Grüne in der Regierung – das bedeutet, so manche Kröte zu schlucken. Tarek Al-Wazir, grüner hessischer Verkehrsminister, würgt arg daran
Dass da etwas dran ist – und auch wieder nicht, zeigt die Lektüre des während der Danni-Rodung auf einem digitalen Parteitag verabschiedete neue Grundsatzprogramm der Grünen. Zwar nimmt Umweltschutz in dem 84-seitigen Papier einen großen Stellenwert ein. Insofern ist die häufig zu hörende Aussage, die Grünen seien die einzige Partei, die sich ernsthaft des Themas annehme, durchaus zutreffend. Aber: Das Programm wird dem selbstgesteckten Ziel, politische Entscheidungen daran zu messen, ob ihre Folgen mit der Einhaltung der planetaren Grenzen vereinbar sind, nicht gerecht. Eine Kreislaufwirtschaft ist im großen Stil schwer vorstellbar, weil Materialien nur begrenzt recycelbar sind und riesige Mengen an Energie benötigt werden. Die Hoffnung auf Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch wurde zuletzt mit dem Forschungsbericht »Decoupling debunked« massiv enttäuscht. Klimaneutralität ist nur eine Möglichkeit, die Emissionen auf dem Papier schön zu rechnen – und ein Green New Deal hält an der Lüge des unendlichen Wachstums fest und missachtet die Grenzen erneuerbarer Energien. Und warum sollten gerade Marktprinzipien helfen, wenn es doch der Markt war, der durch systematisches Versagen den Ökokollaps mit angestoßen hat?
Kurzum: Das grüne Programm ist geprägt von Konzepten, die von kritischen Umweltwissenschaftler*innen längst als grüne Mythen entlarvt sind. Es läuft vielmehr auf den frommen Wunsch nach der Versöhnung von Kapitalismus und Ökologie, von Wachstum und Ressourcenschonung hinaus. Die Grünen nennen es öko-soziale Marktwirtschaft. Das passt hervorragend zur grünen Kernklientel, den umweltbewussten, gut verdienenden Umweltsünder*innen im Prenzlauer Berg, in Ottensen und den Speckgürteln deutscher Großstädte.
Wenn das neue Grundsatzprogramm der Grünen sich schon liest, als sei es für schwarz-grüne Koalitionsverhandlungen für den Bund geschrieben, wird von Schwarz-Grün so gut wie nichts zu erwarten sein. Dass selbst eine so starke außerparlamentarische Bewegung wie FfF den Grünen nicht radikale Forderungen in die Feder diktieren kann, zeigt: Die Bewegung müsste noch viel stärker werden, damit sich in der Klimapolitik grundlegend etwas ändert – oder aber, wie stark die Integrationsfähigkeit des politischen Systems ist.