Es fehlen nicht nur die Gefangenen
Beim Rondenbarg-Verfahren geht es um die Zukunft des Demonstrationsrechts
Von Carina Book
Etwa 3.000 Menschen haben sich am 5. Dezember vor dem Hamburger Hauptbahnhof versammelt, um in Solidarität mit den Angeklagten im Rondenbarg-Verfahren zu demonstrieren. Die Farben der Transparente sind mehrheitlich Schwarz und Rot, ab und an ist auch ein bisschen Glitter und Pink zu sehen. Hier demonstrieren diejenigen, für die der G20-Gipfel kein »Festival der Demokratie« und auch kein »Hafengeburtstag« war. »Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen«, ist die Parole des Tages. Das stimmt. Wer aber auch fehlt, ist die Zivilgesellschaft:
Ob Fußballfans, Grundrechtsorganisationen, kritische Juristenverbände oder Gewerkschaften – sie alle sind kein erkennbarer Teil der Solidaritätsdemonstration. Nicht einmal ver.di war mit einem Banner vertreten, dabei sind unter den Angeklagten auch ehemalige Mitglieder des Bezirksjugendvorstands NRW-Süd und weitere ver.di-Kolleg*innen. Die Liste der Unterstützer*innen der Kampagne »Gemeinschaftlicher Widerstand« liest sich wie eine Vollversammlung der linksradikalen Gruppen des Bundesgebiets – die Unterschrift der Naturfreunde Berlin ist eine der wenigen Ausnahmen. Es fehlen die Unteilbaren – die, die Bänder der Solidarität knüpfen und sich gegen die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten wehren.
Dabei geht es hier nicht um die leidige Debatte »Krawall-geil-oder-scheiße«. Es geht um ein Gerichtsverfahren, das von einem gewalttätigen Polizeieinsatz ablenken soll, bei dem 14 Menschen verletzt wurden, elf davon schwer. Und es geht um den unbedingten politischen Willen, harte Strafen in sämtlichen G20-Prozessen zu erreichen, nur damit Olaf Scholz und Konsorten, die in Hamburg eine gigantische Demonstrationsverbotszone erließen und bis heute Stein und Bein behaupten, Polizeigewalt hätte es nie gegeben, halbwegs gesichtswahrend aus der G20-Nummer herauskommen. Vor allem aber versucht die Staatsanwaltschaft, hier einen Präzedenzfall zu schaffen, der zukünftig allen Demonstrierenden, egal ob mit rotem, schwarzem oder grünem Banner, gehörig auf die Füße fallen kann. Nach dem Motto »mitgegangen, mitgehangen« werden den Angeklagten im Rondenbarg nämlich keine individuellen Taten vorgeworfen, sondern die bloße Teilnahme an der Demonstration am Morgen des 7. Juli 2017. Diese soll nach Meinung der Staatsanwaltschaft ausreichen, um sich beispielsweise durch »psychische Beihilfe« des schweren Landfriedensbruchs schuldig zu machen.
Also woran hat es gelegen, dass die Zivilgesellschaft weitgehend unsichtbar blieb? Anklagen wie diese sollen Angst machen. Genau wie die Abschreckungsrhetorik der Hamburger Sicherheitsbehörden: »Der Verfassungsschutz informiert: Wer an dieser Versammlung teilnimmt, macht sich mit gewaltorientierten Linksextremisten gemein.« Das dürfte zumindest bei einigen Organisationen gezogen haben. Schade, denn mit dieser Manipulation der Öffentlichkeit sind mal wieder ein paar Minuspunkte auf dem Hamburger Demokratiekonto dazugekommen. Und weil Minus mal Minus nicht immer Plus ist, ist es höchste Zeit, die Frage zu stellen: Sind wir nun unteilbar oder nicht? Sicher: Zwischen stimmverzerrten Verlautbarungen der Angeklagten, die aus schrammelnden Demolautsprechern dröhnen, auf der einen und Sonntagsreden über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf der anderen Seite liegen manchmal Welten.
In diesem Fall aber lohnt es sich, um eine gemeinsame Sprache zu kämpfen. Ein erster Schritt dahin wäre gemacht, wenn sich irgendwo zwischen Gewerkschaftshaus und Autonomem Zentrum eine Internetverbindung für eine gemeinsame Online-Diskussion auftäte. Ganz im G20-Style: Gemeinsam den Widerspruch formulieren, aber alle in ihrer Weise.