Was Chad und Stacy mit rechtem Terror zu tun haben
Veronika Kracher erklärt in ihrem Buch über »Incels«, warum diese Community kein Randphänomen ist
Von Theresa Hartmann
Neulich bin ich in den Genuss gekommen, eine Kommentarspalte moderieren zu dürfen. In dem dazugehörigen Beitrag ging es um gesetzliches Vorgehen gegen Catcalling, also sexistische Belästigung von Frauen und weiblich gelesenen Personen im öffentlichen Raum. Es hat keine zehn Minuten gedauert, bis die ersten Kommentare eintrudelten, die alle nach demselben Muster argumentierten: Frauen würden sich generell nur sexuell belästigt fühlen, wenn sie von unattraktiven Männern angesprochen würden. Eine triste Existenz fristet also derjenige, der nicht mit überdurchschnittlicher Attraktivität ausgestattet ist und in der eigenen Erzählung ohnehin immer leer ausgeht. Und als wäre das nicht schon Elend genug, wird diesen traurigen Gestalten ihr Leben zusätzlich von Feminist*innen versaut, die sie wegen einer einzigen Anmache den Rest ihres Lebens hinter Gittern bringen können. Wer kennt’s nicht.
Selbstmitleid und Hass gegen Frauen
Diese unheilvolle Mixtur aus Selbstmitleid, gepaart mit tiefer Misogynie, ist kein Einzelphänomen einiger wirrer Internet-Trolls, sie hat Struktur. Und die organisiert sich schon seit langem in Form einer Subkultur mit dem Namen Incels, kurz für Involuntary Celibates (unfreiwillig im Zölibat Lebende). Nun hat Veronika Kracher ihnen ein ganzes Buch gewidmet – denn, um die Autorin selbst zu zitieren: Irgendjemand muss es ja tun. Und damit hat sie völlig recht: Im Kontext des rechten Terroranschlags auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 veröffentlichte der Täter ein selbsternanntes »Manifest«. Deutlich wird darin, dass Antisemitismus und Rassismus in seinen wahnhaften Verschwörungserzählungen Hand in Hand gehen mit antifeministischen Erklärungsmustern: Der angeblich von einer kulturmarxistischen, jüdischen Elite geschürte Feminismus würde weiße Frauen dazu bringen, immer weniger Kinder zu bekommen und somit den sogenannten »Großen Austausch« vorantreiben. Eine Argumentation, die auch aus Incel-Foren bekannt ist.
Seit Halle wird in Deutschland zwar über Incels gesprochen, einen richtigen Durchblick scheinen aber die wenigsten zu haben. Umso wichtiger ist Krachers Buch für alle, die den Zusammenhang zwischen rechten Anschlägen wie in Halle und toxischen Männlichkeitsstrukturen erkennen und durchdringen wollen. Gekränkte Männlichkeit als Einstiegsdroge für rechte Ideen in aller Kürze: Bei der Incel-Szene handelt es sich um (meistens) weiße Männer, die in Online-Foren darüber klagen, dass ihnen ihr vermeintlich naturgegebenes Recht auf Sex abhanden käme, weil Frauen heutzutage nur noch mit überdurchschnittlich attraktiven Männern schlafen wollen würden. Diese Männer werden »Chads« genannt, das weibliche Äquivalent zu ihnen »Stacy«. Ausgangspunkt dieser doch recht schlichten Vorstellung ist die maskulinistische Verschwörungserzählung über die »Redpill«. Diese muss, angelehnt an die Matrix-Trilogie, geschluckt werden, um zu einer erleuchtenden Einsicht zu kommen: Weiße, heterosexuelle Männer seien die Verlierer der heutigen Zeit, und die Welt würde inzwischen vom Feminismus beherrscht werden. Um die Hegemonie zurückzuerlangen, müsse man sich wieder seiner ursprünglichen, männlichen Werte bewusst werden und einen Krieg gegen alle Emanzipationsbewegungen beginnen. Kracher beschreibt hier sehr treffend, dass man anhand solcher Verschwörungsnarrative den Zusammenhang zwischen gekränkter, hegemonialer Männlichkeit und rechten Denkansätzen erkennen könne. Incels treiben diese Redpill-Ideologie in Form der »Blackpill« noch auf die Spitze: Demnach drehe sich die ganze Welt um einen sexuellen Wettbewerb, in dem Frauen eigentlich dem Mann zu dienen hätten. Aufgrund der aktuellen feministischen Verirrungen würden sie jedoch nur noch mit »Chads« schlafen. Sie, die Incels, würden von Frauen für ihre Hässlichkeit verachtet und mit Sexlosigkeit gestraft werden – was im Umkehrschluss zu dieser Spirale aus Hass gegen Frauen und Hass gegen sie selber führt.
Mehr als die Summe seiner Teile
In der Konsequenz führen solche Ideologien zu Gewalt, die sich bei weitem nicht nur online abspielt: Kracher zählt eine ganze Reihe gegen Frauen gerichteter Anschläge auf, die in den letzten Jahrzehnten von Incels verübt worden sind. Besonders in den Fokus gerückt wird dabei das Attentat eines 22-Jährigen, der im Jahr 2014 im kalifornischen Santa Barbara aus misogynen Rachemotiven sechs Menschen und anschließend sich selbst tötete. Seit seinem Attentat wird der Täter von der Incel-Szene weltweit als »Supreme Gentleman« gefeiert und verehrt.
Beeindruckend ist Krachers Buch allein schon, weil sie nicht davor zurückgeschreckt ist, wahnhafte Manifeste von Incel-Attentätern Stück für Stück zu durchleuchten und zu analysieren.
Wenn einem schon beim Lesen darüber in regelmäßigen Abständen ganz schlecht wird, dann wird die Forschung vermutlich nicht besonders spaßig gewesen sein. Kracher schafft es aber nicht nur, die Ideologie der Incels einzuordnen und sie unter Einbezug von kritischen Männlichkeitsforschern wie Klaus Theweleit oder Rolf Pohl zu theoretisieren. Sie behält im gesamten Verlauf des Buches auch einen subjektiven, feministischen Standpunkt bei. Sie hat kein Mitleid und appelliert an ihre Leser*innen, den Incel-Kult vor dem Hintergrund einer patriarchalen Gesellschaft zu verstehen, in der hegemoniale Männlichkeit schon immer eine krisenreiche Angelegenheit war.
Dass trotzdem ein paar Aspekte gefehlt haben, regt am Ende eher dazu an, noch mehr über die Incels zu lesen. Spannend wäre zum Beispiel, die Widersprüchlichkeit zu analysieren: Einerseits behaupten die Incels, ein Leben als einsamer Wolf zu fristen, andererseits erkennt man schnell die Kollektivität der Männerbünde in den Online-Foren. Am Ende ist das Buch jedoch mehr als die Summe seiner Teile: Es ist nicht nur eine Studie über einen Online-Kult. Es ist auch eine Aufforderung, aktuelle Männlichkeitskonzeptionen und den daraus resultierenden Antifeminismus in Analysen über rechte Gewalt einzubeziehen.