Rechter Terror in Berlin
Seit elf Jahren brennt es in der Hauptstadt, doch die Hintergründe werden nicht oder nur unzureichend aufgeklärt
Von Carina Book
Jahrelang habe der Berliner Innensenator Geisel erklärt, dass er alles tun würde, um die rechten Anschläge in Neukölln aufzuklären. Doch aus dem Abschlussbericht der von ihm eingesetzten BAO Fokus (Anm. der Redaktion: Besondere-Aufbau-Organisation der Polizei) zur Überprüfung der Ermittlungen geht nun hervor, dass diese keine Priorität hatten, stellen die Betroffenen des mutmaßlich rechten Terrors in Berlin-Neukölln fest. Auch in im Berliner Stadtteil Lichtenberg kam es kürzlich zu einem antisemitisch motivierten Attentat. Die Berliner Polizei verwies auf ihre Schwierigkeiten bei der Erhebung einer polizeilichen Kriminalstatistik. Sie teilte uns mit, dass für das Jahr 2019 lediglich »eine Brandstiftung und für das Jahr 2020 für Berlin drei Brandstiftungen für den Phänomenbereich PMK -rechts- « registriert worden seien.
Neukölln
In der Nacht vom 18. auf den 19. Juni 2020 brannte es in der Berliner Sonnenallee vor einer syrischen Konditorei. Die Brandstifter hatten brennende Kohlebriketts auf die Reifen eines Kleintransporters gelegt, der dem Transporter der Konditorei sehr ähnlich sah. Tatsächlich aber zündeten die Brandstifter den Kleintransporter eines anwohnenden Malers an. Das Haus, in dem sich die syrische Konditorei befand, wurde immer wieder mit Hakenkreuzen und SS-Runen beschmiert. »Die Polizei hat diese neonazistischen Markierungen nicht entdeckt«, sagt Ferat Kocak, dessen Auto in der Nacht auf den 1. Februar 2018 in Flammen aufgegangen war. »Mittlerweile ist das Haus schon so häufig mit Hakenkreuzen beschmiert worden, dass die Betreiber der Konditorei die Schmierereien mit eigener Farbe übermalen, damit die Kunden nicht abgeschreckt werden.« Die Community fühle sich häufig an den NSU erinnert, spätestens seit sie aus einem Artikel auf rbb24 erfahren musste, dass die Polizei »keinen Tatzusammenhang zu den bisherigen rechtsmotivierten Straftaten in Neukölln« sehe. Stattdessen würde der »Sachverhalt auch von Fachleuten geprüft, die sich mit der Clankriminalität in Neukölln beschäftigen«, heißt es in dem Artikel.
Auch Ferat Kocak selbst sei aufgrund seiner Twitter-Präsenz durch das LKA befragt worden. »In alle Richtungen zu ermitteln ist ja richtig, aber das so nach außen zu kommunizieren ist skandalös, denn die Täter fühlen sich belohnt, wenn sie in der Zeitung lesen können, dass der Verdacht erstmal auf die Community selbst fällt«, so Kocak. Die neuerlichen Anschläge würden der Terrorserie in Neukölln auch deshalb nicht zugerechnet, weil die Behauptung, man hätte es mit einem neuen Tatkomplex zu tun, den Anschein erwecken solle, dass der Terror in Neukölln gestoppt sei.
Die neuerlichen Anschläge legen das aber nicht nahe: Am 24. April 2020 brannten zwei Autos am Tempelhofer Weg, am 4. Juni 2020 verübten Unbekannte einen Anschlag auf das Haus, in dem das linke Café K-Fetisch zu Hause ist, und zuletzt zündeten am 3. Oktober 2020 mutmaßlich drei Frauen eine Matratze vor dem Galerie Cafe Lunasol in der Nogatstraße an.
Dass die Betroffenen wenig Vertrauen in den Aufklärungswillen der Berliner Polizei haben, liegt auch an Verstrickungen von Polizeibeamten in die Naziszene: »Wie sollen wir uns an Sicherheitsbehörden wenden, in denen Polizisten weiter im Dienst sind, von denen einer wegen einer rassistischen Gewalttat vor Gericht steht, ein anderer an das tatverdächtige Milieu Polizeiinterna im Chat weitergab und ein weiterer sich in einem rechten Szenetreff in Rudow mit einem Tatverdächtigen bzw. einem Bekannten traf«, klagen die Betroffenen in einer gemeinsamen Presseerklärung an. Auch der Brand in der Okerstraße/Ecke Hermannstraße versetzte den Neuköllner Betroffenen einen Schock, denn in Neukölln brennen nicht »nur« Autos. Das mehrheitlich migrantisch bewohnte Mehrfamilienhaus über einem Aldi-Supermarkt stand am 22. Februar 2020 in Flammen. 32 Menschen mussten aus dem stark verrauchten Wohnhaus gerettet worden, 28 von ihnen erlitten eine Rauchvergiftung. Auch hier ermittelt die Polizei in alle Richtungen. Dabei könnte ein Hinweis entscheidend sein: Augenzeugen aus der Community berichten, dass sie kurz vor dem Brand ein »deutsch-aussehendes Pärchen« aus dem Haus habe laufen sehen. Ferat Kocak betont: »Natürlich müssen es nicht jedes Mal Nazis gewesen sein, wenn etwas brennt, aber wir müssen immer damit rechnen. Das zeigt uns die Erfahrung aus elf Jahren. Diese Brände sind für uns ein Angriff auf die gesamte Community. Wir glauben, dass hier Strukturen am Werk sind, die bürgerkriegsähnliche Zustände herstellen wollen.«
Lichtenberg
15 Kilometer nordöstlich von Neukölln entfernt liegt Lichtenberg, ein ambivalenter Kiez, wie Markus Tervooren von der Berliner VVN-BdA ihn beschreibt. Junge zugezogene Kinderwagen-Schickeria trifft auf DDR-Rentner*innen und in die Jahre gekommene Nazikader. Früher war Lichtenberg als Nazikiez bekannt. Noch 2006 warnte der bekannte Reiseführer »Lonely Planet« vor rassistischen Angriffen in Lichtenberg.
In Lichtenberg kommt es auch heute noch regelmäßig zu rassistischen oder antisemitischen Pöbeleien, beobachtet Tervooren: »In den letzten Jahren ist hier auch mal ein Döner-Imbiss abgefackelt worden. Und besonders im Gedächtnis geblieben ist der 17. September 2016.« Damals verprügelte der Filialleiter eines Edeka-Ladens am Lichtenberger Bahnhof den Obdachlosen Eugeniu B. mit Quarzsandhandschuhen derart, dass dieser wenige Tage im später im Krankenhaus verstarb. Wie der Berliner Register meldet, kamen mehrere Personen am 11. August 2020 aus einer Kneipe und drangen in den Innenhof eines von Migrant*innen bewohnten Hauses, um die Anwohner*innen zu bedrohen. Am 29. August 2020 bedrohte ein tätowierter Neonazi einen minderjährigen Geflüchteten mit einem Messer. Dieser konnte zum Glück fliehen und blieb unverletzt. Das Viertel sei ein rauhes Pflaster gewesen und auch heute noch gäbe es so manche Eckkneipe, in der Neonazis unbehelligt ein und aus gingen. So wie im Sturgis. Die Kneipe gilt schon seit vielen Jahren als Treffpunkt der Berliner Naziszene; auch Mitglieder des III. Weg verkehren hier.
Etwa hundertfünfzig Meter davon entfernt wurde 2014 eine neue Eckkneipe eröffnet: Das »Morgen wird besser«, das von einem jüdischen Israeli betrieben wird, entwickelte sich schnell zur beliebten Kiezkneipe. Doch von Anfang an sei die Kneipe mit Drohungen terrorisiert worden, schildert Markus Tervooren. In das »Morgen wird besser« sei immer wieder eingebrochen worden; es habe Drohanrufe und Pöbeleien gegen den Besitzer gegeben. Als die Kneipe am Freitagmorgen, den 14. August 2020 durch Brandstiftung ausbrannte, hätte niemand daran gezweifelt, dass es sich dabei um einen antisemitischen Anschlag gehandelt habe. Nahe lag dies auch, weil in die Tür des »Morgen wird besser« ein David-Stern und die Zahl 28 eingeritzt worden waren, ein Code für Blood and Honour. Diesem verbotenen, aber dennoch aktiven Neonazi-Netzwerk werden auch Mitglieder des NSU zugerechnet.
»Wir haben dann eine Solidaritätskundgebung angemeldet und haben damit gerechnet, dass vielleicht hundert Leute kommen. Dann kamen sogar mehr als 500: Darunter viele Anwohner*innen und antifaschistische Gruppen. Auch eine Spendenkampagne bei Betterplace wurde bekannt gemacht und zahlreiche Spenden gesammelt. Am Ende kam sogar der Justizsenator und der Berliner Antisemitismusbeauftragte Samuel Salzborn. Das war schon bemerkenswert, weil hier tatsächlich mal klar benannt wurde, was passiert ist: Nicht eine Zündelei von einem Verwirrten, sondern ein antisemitischer Anschlag«, sagt Markus Tervooren.
Auch die Behörden hätten bereits einige Stunden nach der ersten Polizeimeldung ein antisemitisches Tatmotiv vermutet. »Der Staatsschutz ist da ziemlich schnell eingestiegen, was für Berlin relativ ungewöhnlich ist, wenn man das mit Neukölln vergleicht. Dort steigt der Staatsschutz ein und kurz darauf wieder aus. Aber Ergebnisse der Ermittlungen gibt es trotzdem keine«, meint Tervooren. Dabei sei der mutmaßliche Täterkreis wahrscheinlich ziemlich überschaubar: »Man kennt hier seine Pappenheimer ziemlich gut. Viele Nazis sind hier schon Jahrzehnte lang aktiv. Ich würde eigentlich erwarten, dass das nicht nur auf Seiten der Antifa bekannt ist, sondern auch auf Seiten der Behörden.«