Eine Atempause, mehr nicht
Der Aufwärtstrend der italienischen Rechten wurde verlangsamt, aber nicht gestoppt
Von Jens Renner
Mitte-Links kann in Italien doch noch Wahlen gewinnen. Die Lega und ihre Verbündeten haben eine Niederlage erlitten, der Aufwärtstrend der italienischen Rechten ist unterbrochen. Gescheitert ist vor allem Matteo Salvini, der aus der Regionalwahl am 26. Januar in der Emilia-Romagna ein Referendum über die Regierung zu machen versuchte. Nach einem Erfolg der Rechten in der ehemals »roten Hochburg« um Bologna würde, so Salvinis Kalkül, die in Rom regierende Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung (MoVimento Cinque Stelle / M5S) und Partito Democratico (PD) auseinanderbrechen; bei der dann unvermeidlichen Neuwahl aber würde der Rechtsblock triumphieren und er selbst Premier werden.
Dieses Szenario ist nun zumindest aufgeschoben. Am Ende lag der Mitte-Links-Kandidat, Regionalpräsident Stefano Bonaccini (PD), fast acht Prozentpunkte vor Lucia Borgonzoni von der Lega. Allerdings ist diese klare Mehrheit vor allem zwei außergewöhnlichen Faktoren zu verdanken. Zum einen ist da die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung: Nicht zuletzt durch die erst Mitte November in Bologna entstandene Bewegung der »Sardinen« konnten auch Wähler*innen mobilisiert werden, die sich in den vergangenen Jahren enttäuscht von den Mitte-Links-Parteien abgewandt hatten. Zum anderen praktizierten viele Anhänger*innen der Fünf-Sterne-Bewegung ein Stimmen-Splitting: Mit der Erststimme votierten sie für den PD-Mann, mit der Zweitstimme für die Liste ihrer Partei.
Zugewinne für die Neofaschist*innen
Eine genauere Analyse der Wahlergebnisse vom 26. Januar zeigt, dass die Anhängerschaft des Rechtsblocks weitgehend stabil geblieben ist. Die Lega verlor in der Emilia-Romagna gegenüber ihrem Rekordergebnis bei den Europawahlen im Mai 2019 weniger als zwei Prozentpunkte und liegt dort immer noch bei 32 Prozent, während die neofaschistischen Fratelli d’Italia (FdI) massiv hinzugewannen und nun auf 8,6 Prozent kommen. Einzig Berlusconis Forza Italia verlor deutlich und kam über 2,6 Prozent nicht hinaus. Eine rechte Mehrheit auf nationaler Ebene ist damit immer noch greifbar nahe.
Dafür spricht auch der Wahlsieg der Rechten in der süditalienischen Region Kalabrien am selben Tag. Das bemerkenswerteste Phänomen ist hier der Zusammenbruch der Fünf Sterne. Von sensationellen 43,4 Prozent bei der Parlamentswahl im März 2018 blieben ihnen ganze 6,3 Prozent. Vor allem in den deutlich ärmeren Südregionen hatten viele Menschen auf das von den Fünf Sternen versprochene Bürgereinkommen (»reddito di cittadinanza«) gehofft. Mittlerweile zeigt sich, dass es sich dabei lediglich um eine Armutsbeihilfe handelt: Nach offiziellen Zahlen nahmen Anfang 2020 etwa 2,5 Millionen Menschen die Stütze in Anspruch; die durchschnittliche Zuwendung pro Person betrug 493 Euro im Monat. Menschen von außerhalb Europas, die weniger als zehn Jahre in Italien leben, gehen vollständig leer aus – so wird die Kampfparole der extremen Rechten »Prima gli italiani« (»Die Italiener zuerst«) zur Richtschnur der staatlichen Sozialpolitik.
In der Fünf-Sterne-Bewegung hat der dramatische Abwärtstrend die Konflikte verschärft. Nach dem Rücktritt des bisherigen »capo politico« Luigi Di Maio sucht sie nicht nur eine neue Führung, sondern auch einen klaren Kurs gegenüber dem PD. Dass M5S an dessen Seite in die kommenden Wahlkämpfe geht, um Schlimmeres – Salvini Premier! – zu verhindern, ist längst nicht ausgemacht.
Beim Partito Democratico wünscht man sich dagegen durchgängig gemeinsame Listen mit M5S. Ein Störenfried bleibt der frühere PD-Sekretär und Regierungschef für »tausend Tage«, Matteo Renzi. Er hat im Herbst seine eigene Partei gegründet: Italia Viva (»Lebendiges Italien«), die in Umfragen nicht über fünf Prozent hinauskommt, aber immer wieder – von rechts – die Politik der Regierungskoalition zu beeinflussen versucht. Zu dieser gehören auch die linken Freien und Gleichen (Liberi e Uguali/LeU) die mit Roberto Speranza den Gesundheitsminister stellen, insgesamt aber kaum auffallen.
Bislang nicht mehr als ein Slogan: »Diskontinuität«
Als reine Abwehrfront gegen Salvinis Rechtsblock werden die Mitte-Links-Parteien auf Dauer kaum Erfolg haben. Von der vielbeschworenen »Diskontinuität« gegenüber der Politik von Lega und M5S sind aber nicht einmal Ansätze zu sehen. Das gilt in der Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ebenso wie bei der Migrationsabwehr. Hier geht die Kollaboration mit Libyen weiter, und auch Salvinis rassistische Sicherheitsdekrete sollen nur in Teilen korrigiert werden.
Bislang ist keine Kraft in Sicht, die eine Linkswende erzwingen könnte. Italien sei mittlerweile »ein Land ohne Linke«, konstatiert Maurizio Acerbo, Sekretär von Rifondazione Comunista. Nicola Fratoianni (Sinistra Italiana) ist etwas weniger pessimistisch. Als positives Beispiel sieht er die linke Bündnisliste Emilia Romagna coraggiosa (»Die mutige Emilia-Romagna«), die bei der Regionalwahl auf 3,8 Prozent kam. Deren Spitzenkandidatin Elly Schlein wurde sogar international bekannt – die spanische Tageszeitung El Pais präsentierte sie als den »neuen Stern der italienischen Linken«.
Die so Gepriesene wehrt das Lob zwar bescheiden ab, sieht ihre Liste aber durchaus als Modell für andere Regionen, wenn nicht die nationale Ebene. Auch dort gelte es, ein »linkes, feministisches, ökologisches« Bündnis zu organisieren, sagte sie im Interview mit Il Manifesto (30.1.2020). Diejenigen, die mit den Sardinen auf die Straße gingen, »wollen die Einheit, aber eine Einheit in der Klarheit, ohne Zweideutigkeiten etwa in der Frage der Immigration«.
Die Sardinen selbst wollen Mitte März auf einem Kongress beraten, wie es weitergehen soll. Zur voraussichtlichen Lebensdauer der Bewegung gibt es sehr unterschiedliche Einschätzungen. Manche Beobachter*innen fühlen sich an die Bewegung der Girotondi (»Ringelreihen«) erinnert, die 2002 aus Protest gegen Berlusconi entstand, aber schon nach wenigen Monaten wieder verschwunden war. Im Unterschied zur Basisbewegung der Sardinen gingen die betont friedfertigen Girotondi-Spaziergänge in etlichen großen Städten auf eine Initiative »von oben« zurück, in der namhafte Intellektuelle den Ton angaben; ihr inoffizieller Sprecher war der Filmregisseur und Schauspieler Nanni Moretti.
Dass die Sardinen ein ähnlich kurzlebiges Phänomen bleiben, ist längst nicht ausgemacht. Etliche linke Veteran*innen äußern sich geradezu enthusiastisch über ihr Potenzial. Die Sardinen seien der lang erwartete »Weckruf für die Linke«, schrieb Norma Rangeri, die Chefredakteurin von Il Manifesto. Der Historiker Piero Bevilacqua erwartet gar, dass aus der Bewegung »in wenigen Jahren die neuen Führungszirkel der italienischen Linken« entstehen.
Salvini in den Knast?!
Nachdem der Senat Salvinis Immunität aufgeboben hat, kann nun ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung gegen ihn eröffnet werden. Als Innenminister hatte er im Juli 2019 der Gregoretti, einem Schiff der Küstenwache mit 131 Geflüchteten an Bord, tagelang die Einfahrt in einen italienischen Hafen verweigert. In mehreren ähnlichen Fällen allerdings ist die Aufhebung seiner Immunität unwahrscheinlich, weil Salvinis ehemalige Partner*innen von den Fünf Sternen sich dem widersetzen.