Teilerfolg oder Gefahr?
In Mali hat eine Gruppe junger Offiziere die Regierungsmacht übernommen
Von Bernard Schmid
Mali unter der Präsidentschaft von Ibrahim Boubacar Keïta, genannt IBK: Das ist nun definitiv Geschichte. In der Nacht vom 5. zum 6. September verließ Keïta das westafrikanische Land an Bord eines Sonderflugs in Richtung Vereinigte Arabische Emirate. Der Staatenbund am Arabisch-Persischen Golf war bereits in den zwei Wochen zuvor in Diskussionen über einen Exil-Ort für Keïta öffentlich in Erwägung gezogen worden.
Die Ausreise nach Abu Dhabi beruht auf einer Vereinbarung zwischen der nun in Bamako amtierenden Militärregierung, deren Kern das aus jüngeren Offiziere gebildete Nationale Komitee für die Rettung des Volkes (CNSP) bildet, und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (CEDEAO).
Einmischung in innere Angelegenheiten
Seitdem am 18. August in einem Militärcamp vor den Toren der Hauptstadt Bamako eine Meuterei ausbrach und das CSNP wenige Stunden darauf Präsident Keïta für abgesetzt erklärte, interveniert vor allem die CEDEAO immer wieder in die inneren Angelegenheiten Malis. Die Wirtschaftsgemeinschaft setzte zunächst alle Finanztransaktionen zwischen Mali und dem Ausland aus – einschließlich der Überweisungen aus der Arbeitsmigration an die Familien im Inland, mit möglicherweise katastrophale Folgen. Am 21. August schloss auch die Westafrikanische Zentralbank der CEDEAO ihre drei Filialen in Mali.
Zunächst forderte die Wirtschaftsgemeinschaft – die dazu tendiert, sich zu einer regionalen politischen Einheit ähnlich der Europäischen Union zu entwickeln – explizit die Wiedereinsetzung von Präsident IBK, dessen Mandat erst im August 2023 abgelaufen wäre. Nachdem das gestürtzte Staatsoberhaupt selbst jedoch darauf verzichtete, verlangte die CEDEAO nun eine baldige »Rückkehr zur Legalität« und zeigt sich um die Behandlung des ehemaligen Präsidenten besorgt.
Offiziell handelt es sich bislang nur um einen Aufenthalt zur Behandlung des Schlaganfalls, den Keïta kürzlich erlitt und infolgedessen er in einem Krankenhaus in Mali behandelt wurde. Am 6. September präzisierte die Militärregierung, Keïta sei der Aufenthalt am Golf nur aus medizinischen Gründen und nur für eine Höchstdauer von drei Monaten gestattet, danach müsse er nach Bamako zurückkehren.
Dahinter steckt das Ansinnen, ihn in seinem Land möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt vor Gericht zu stellen und zu verurteilen: wegen Korruption und Unterschlagung öffentlicher Mittel, eventuell auch wegen »Hochverrats« aufgrund der Tatsache, dass die Regierung Keïta immer wieder junge Soldaten mit völlig unzureichender Ausstattung in den Krieg gegen die bewaffnete Islamisten im Norden und Nordosten des Landes entsandt hatte. Die Gelder für bessere Ausrüstung waren oft in den Kanälen der Korruption versickert.
Was passiert, falls IBK die dreimonatige Frist überschreitet und die Golfmonarchie um ein längerfristiges oder endgültiges Exil ersucht, ist offen. Unterdessen lebt sein Sohn Karim Keïta, der in besonderem Maße als Verkörperung der Korruption gilt, in einem nicht näher benannten westafrikanischen Nachbarland im Exil. Karim Keïta war ein zwielichtiger Geschäftsmann. Sein Vater machte ihn zunächst zum Abgeordneten und später zum Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Parlament – ein Posten, der in Kriegszeiten nicht unwichtig ist. Ein virales Video vom Frühsommer dieses Jahres, das Karim Keïta und Freunde beim Urlaub mit Yachten, Prostituierten und Champagner zeigt, mutmaßlich auf Staatskosten, bildete damals den Sargnagel für IBKs Präsidentschaft. Seit dem 5. Juni rüttelte eine Massenbewegung (ak 662) an seiner Herrschaft.
Was soll nach IBK kommen?
Nur eine kleine Minderheit Begünstigter dürfte den Regierungsjahren von Ibrahim Boubacar Keïta (2013-2020) nachtrauern. Kontrovers und hitzig diskutiert werden unterdessen vielerorts Fragen wie diese: Haben die jungen Militärs die Tür zum Reich der Möglichkeiten aufgestoßen und den Kräften der bisherigen zivilen Opposition Handlungsspielräume verschafft, indem sie IBK absetzten? Oder sind die Militärs gekommen, um selbst an der Macht zu bleiben? Und falls ja, ist dies eine notwendige Maßnahme, um einen vom Zerfall bedrohten Staat »wiederaufzubauen« (dies hört oder liest man in Mali nicht selten), oder ist es eine neue Bedrohung in näherer Zukunft? Die Kommentare malischer Staatsangehöriger bei Facebook und in anderen Medien lassen eine große Spannbreite zwischen Optimismus und Kritik in diesen Fragen erkennen.
Der Kontext erlaubt es den Militärs nicht, sich an der Macht einzurichten.
Moussa Mara
Tausende Menschen, die dem Aufruf des Oppositionsbündnisses M5-RFP (»Bewegung des 5. Juni – Sammlung der patriotischen Kräfte«) nachkamen, begrüßten bei einer Demonstration am 21. August im Zentrum der Hauptstadt Bamako zunächst den Wechsel, richteten aber auch Forderungen an die neue Militärregierung. Der französische Anthropologe und Westafrika-Kenner Jean-Louis Amselle kommentierte am selben Tag in der Pariser Abendzeitung Le Monde: »Man kann befürchten, dass die malischen Militärs die Macht behalten.« Einen Kontrapunkt setzte der frühere Premierminister des Landes und zuletzt Opponent von Präsident IBK, Moussa Mara. Er erklärte zur selben Zeit in Le Point Afrique: »Der Kontext erlaubt es den Militärs nicht, sich an der Macht einzurichten.« Wie manch andere ehemalige Regierungsmitglieder hatte auch er sich dem M5-RFP angeschlossen, dem neben Basiskräften diverse Prominente, aber auch abgehalfterte Berufspolitiker, die die Gunst von IBK verloren hatten, angehören.
Die derzeit führenden jüngeren Offiziere kündigten ihrerseits zunächst eine Übergangsphase an, die »in einem vernünftigen Zeitraum« zur Wahl einer neuen Regierung führen solle. Bis dahin solle, so Sprecher Ismaïl Wagué am 20. August, »ein Zivilist oder ein Militär« den Übergang führen, was zunächst alle Optionen offen lässt. Einige Tage später ist nun allerdings von Seiten der Militärregierung von einem dreijährigen Zeitraum unter militärischer Federführung die Rede. Nach einer Diskussion dreier Vermittler*innen der CEDEAO mit dem regierenden Militärrat CNSP am 22. und 23. August in Bamako erklärten beide Seiten, es sei zu keiner Überkunft über eine Rückkehr von Zivilpersonen an die Macht gekommen. Die Militärregierung stelle sich, so beide Seiten, auf eine »dreijährige Übergangsperiode« unter Leitung eines Offiziers, der zugleich das Staatspräsidentenamt bekleiden solle, ein.
Ismaïl Wagué behauptete in seinem Interview, keinen Kontakt zum M5-RFP zu haben und dessen Positionen nicht zu kennen. Inzwischen traf die Militärregierung allerdings mit dem Oppositionsbündnis zusammen. Am 4. September wurde in einem Kongresszentrum in Bamako überdies eine Runde der »nationalen Konzertierung« mit Oppositionskräften und Verbänden der Zivilgesellschaft eröffnet. Ein Teilnehmer und langjähriger Aktivist sozialer Bewegungen in Mali erklärte sich gegenüber dem Autor dieser Zeilen allerdings enttäuscht. Er fordert, die Militärregierung – deren Beginn er ausdrücklich begrüßte – solle Zehntausende Menschen aus der Bevölkerung zu einer Diskussion ins Station Modiba Keïta (1) laden, anstatt Plauschrunden mit Angehörigen diverser Organisationen in einem Kongresssaal abzuhalten.
Neben der CEDEAO haben die Großmächte und die Regierungen in der Region eine klare Haltung. Am 19. August verurteilte der UN-Sicherheitsrat den Machtwechsel in Mali einstimmig.
Diese Institutionen und ihre Positionen haben mit den Interessen der Bevölkerung in Mali mit Bestimmtheit nichts zu tun. Welche Chancen und Risiken die gegenwärtige Situation dieser bietet, wird mit Wachsamkeit verfolgt werden müssen.
Anmerkung:
1) Modiba Keïta war der erste Präsident nach der Unabhängigkeit. Er war ein antikolonialer Marxist, der nach achtjähriger Regierung im November 1968 durch einen Rechtsputsch aus Kreisen der Armee gestürzt wurde.