Die Macht des Shitstorms
Die Betriebsratswahl bei N26 zeigt neue politische Spielräume im Startup-Sektor auf
Von Daniel Weidmann
Dass der Auftakt zur Betriebsratswahl im Finanztechnologie-Startup N26 Mitte August 2020 so turbulent verlaufen würde, hatte im Kreis der Initiator*innen wahrscheinlich niemand erwartet. Doch die harten Auseinandersetzungen in den 48 Stunden vor der öffentlichkeitswirksamen Kapitulation des Managements geben im Nachhinein nicht nur eine spannende Geschichte ab. Sie verweisen auch auf eine spürbare Verschiebung der Kräfteverhältnisse, die die Auseinandersetzungen um die Lohnarbeit in der hiesigen Tech-Branche prägen.
Seit sich im Sommer 2019 eine Berlin Tech Workers Coalition (TWC) gebildet hatte (ak 660), haben einige meist erst vor relativer kurzer Zeit nach Berlin gezogene Startup-Beschäftigte allen Sprachbarrieren zum Trotz begonnen, über Betriebsratswahlen als Mittel zur Verbesserung der eigenen Arbeitsbedingungen zu diskutieren – etwa auf einem gut besuchten Panel des 36c3 –Kongresses des Chaos Computer Clubs oder auf einem englischsprachigen Betriebsratswahl-Workshop der TWC mit circa 50 Teilnehmenden im vergangenen Winter. Zu diskutieren gab es dabei genug, schließlich lassen die Arbeitsbedingungen in den Berliner Tech-Startups oft genug zu wünschen übrig: Verhältnismäßig geringe Vergütungen, repetitive Clickwork-Aufgaben, engmaschige Dauerüberwachung am Computerarbeitsplatz und prekäre befristete Verträge, an die der oft ebenso prekäre Aufenthaltsstatus in Deutschland gekoppelt ist – viele Berliner Tech-Workers sind mit ihrer Geduld am Ende.
Im Frühjahr 2020 wurde sodann auch bei N26 mit Unterstützung der Gewerkschaft ver.di intensiv an der Vorbereitung von Betriebsratswahlen in den beiden extrem schnell gewachsenen Berliner Gesellschaften der Firma gearbeitet, der für ihren »disruptiven« Onlinebanking-Ansatz sowohl in der deutschen Startupszene, als auch in der internationalen Bankenwelt in den vergangenen Monaten viel Beachtung geschenkt worden war.
Einstweilige Verfügungen gegen die Betriebsratswahl
Pandemiebedingt mussten die Betriebsratswahlen für beide Unternehmen schließlich bis in den August 2020 geschoben werden. Als je drei Beschäftigte der Initiative worker26 schließlich mit über einer Woche Vorlauf für den Donnerstag und Freitag, den 13. und 14. August zur Wahlversammlung einluden, reagierte die Arbeitgeberseite mit zwei bis zur letzten Minute hinausgezögerten Anträgen auf Erlass von einstweiligen Verfügungen gegen die Durchführung der Wahlversammlung und verwies zur Begründung auf angebliche Bedenken im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie.
Da sich die beiden daraufhin ergangenen Gerichtsbeschlüsse aber nur gegen die bisherigen Wahlinitiator*innen von worker26 richteten, blieb es der Gewerkschaft ver.di unbenommen, am Donnerstagvormittag überraschend selbst zu den beiden Wahlversammlungen einzuladen und so die erste einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Berlin zu umgehen. So konnte der erste Wahlvorstand erfolgreich eingesetzt werden.
Weil klar war, dass dieser Überrumpelungseffekt nicht lang anhalten würde, hatte ver.di als vorweggenommene gerichtliche Verteidigung in einem weiteren Eilverfahren eine Schutzschrift eingereicht. Aber weil das extrem fehleranfällige zentrale »Elektronische Schutzschriftenregister« der deutschen Justiz die eingereichte Schutzschrift dem Berliner Arbeitsgericht nicht zugänglich machte, erging am Freitagmorgen auch gegen ver.di eine Unterlassungsverfügung.
Durch diesen Technik-GAU waren nun eigentlich alle Akteure, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz zur zweiten Wahlversammlung einladen durften, schachmatt gesetzt. Der rettende Einfall, die IG Metall zu fragen, ob sie nicht spontan zur Versammlung einladen wolle, war zunächst eher ein verzweifelter Scherz. Ein Telefonat später war die Sache ausgemacht. Der IGM-Sekretär stürzte erst ins Büro seiner Chefin, die ihm ohne Zögern grünes Licht gab, hetzte dann zum Versammlungsort und stellte dort die Wahl des zweiten Wahlvorstands sicher. Die zwischenzeitlich doch noch im Gerichtsregister aufgetauchte Schutzschrift verhinderte zeitgleich den Erlass einer dritten einstweiligen Verfügung gegen die IG Metall.
Endgültig entschieden wurde die Auseinandersetzung allerdings im Netz. Denn während auf den Wahlversammlungen noch heiß diskutiert wurde, war erst auf den einschlägigen Startup-Portalen und wenig später auch in der bundesweiten Presse ein veritabler Shitstorm gegen die Firma N26 und ihren Wahlbehinderungsversuch losgetreten worden. Nach heftiger Kritik – unter anderem auch in der Zeit und der Frankfurter Allgemeinen – solidarisierten sich auch diverse Spitzenpolitiker*innen und Promis wie Jan Böhmermann (»N26 – die Arschlochbank«). Am frühen Freitagnachmittag zog N26 die Notbremse und entschuldigte sich öffentlichkeitswirksam für die Wahlbehinderungsversuche.
Während auf den Wahlversammlungen noch heiß diskutiert wurde, war erst auf den Startup-Portalen und dann in der bundesweiten Presse ein veritabler Shitstorm gegen die Firma N26 losgetreten worden.
Aus dieser harten Auseinandersetzung lässt sich einiges lernen: Zunächst verdeutlichen die Initiativen der TWC und von worker26, dass sich die in den vergangenen Jahren nach Berlin zugewanderten Tech-Workers schnell politisch konstituieren und selbstbewusste Forderungen formulieren können. Dass diese mitunter hoch qualifizierten und überwiegend recht jungen Leute mit teilweise ziemlich prekärem Aufenthaltsstatus in der linken Debatte der Bundeshauptstadt bis heute oft nur im Zusammenhang mit steigenden Mieten Erwähnung finden, sollte sich also schleunigst ändern.
Auch die Zusammenarbeit mit den beiden handelnden Gewerkschaften ist bemerkenswert. Zum einen, weil sich ver.di und IG Metall in der Auseinandersetzung bisher auf eine dienende Rolle beschränkt haben, statt den Organisierungsprozess der Beschäftigten an sich zu reißen. Die blitzschnelle Reaktion der IG Metall auf das unorthodoxe »Amtshilfe«-Ersuchen wenige Stunden vor dem Wahltermin zeigt außerdem, dass man von Gewerkschaften durchaus mehr erwarten kann als die quasibehördliche Trägheit, für die sie in den letzten Jahrzehnten immer wieder kritisiert wurden. Dass sich die bei beiden Gewerkschaften agierenden Hauptamtlichen auf den Grassroots-Treffen der TWC bereits näher kennengelernt und eine enge Zusammenarbeit vereinbart hatten, hat im konkreten Fall natürlich sehr geholfen.
Bemerkenswert war schließlich auch die einhellige Verurteilung der Arbeitgeberstrategie sowohl durch konservative Tageszeitungen als auch auf hippen Startup-Portalen. Dies lässt auf eine nicht unwesentliche hegemoniale Verschiebung schließen. Nur wenige Jahre zuvor wäre dem Widerstand des Unternehmens gegen die Betriebsratswahlinitative wahrscheinlich noch mit großem medialem Verständnis begegnet worden – man erinnere sich nur an die erste Betriebsratswahl bei SAP im Sommer 2006. Doch der neoliberale Konsens der 1990er und 2000er Jahre zeigt mittlerweile mehr als nur kleine Risse. Schließlich sind viele der Journalist*innen, die das Unternehmen so heftig attackiert haben, auch ihre eigenen prekären Arbeitsbedingungen längst leid und haben nicht selten selbst Betriebsräte gewählt. Branchenkenner*innen wissen außerdem um die Arbeitsbedingungen, unter denen Berliner Tech-Workers leiden – kostenloser Obstkorb und Tischtennisplatte im »Office« hin oder her.
Seit der positiven Berichterstattung wird in vielen weiteren Berliner Startups über die eigene Organisierung getuschelt. Es besteht daher Anlass zur Hoffnung, dass das Beispiel N26 Schule macht. In Anbetracht der sich abzeichnenden Weltwirtschaftskrise und der Kalamitäten, die sie für die in den Berliner Tech-Startups beschäftigten Menschen bedeuten kann, ist das auch dringend geboten.
Anmerkung:
1) Diese Wahlvorstände führen nach dem Gesetz dann die eigentliche Betriebsratswahl durch. Die Wahlversammlungen zu ihrer Einsetzung gelten als »Nadelöhr« jeder Betriebsratswahlpremiere, weil sie i.d.R. die letzte Chance für juristische Gegenangriffe der Arbeitgeberseite bieten. Unter Pandemiebedingungen bieten sich hierfür plötzlich ganz neue Angriffsflächen.