Das Ringen zwischen Kunst und Kommerz
Auf ihrem neuen Album rappen Zugezogen Maskulin über die Abgründe der Musikwelt und der heutigen Gesellschaft
Von Tobias Ernsing
Die Feuilletonlieblinge Zugezogen Maskulin haben aus Anlass ihres zehnjährigen Bandbestehens ein neues Album veröffentlicht: »10 Jahre Abfuck«, so der Titel des Werkes, mit dem die beiden Rapper Grim104 und Testo nun in die Top Ten gechartet sind.
Gleich die erste Zeile des Albums spielt auf das wohl größte Konzert der Band an, welches sie im November 2019 in Berlin zur Feier des Mauerfalls vor 60.000 Leuten spielten: »Auftritt, Brandenburger Tor, ausgebuht aber gut bezahlt. Fühlt sich geil an, zensierter Stream, wir sind so weit gekomm’n«. Für das ZDF war der Song »Endlich wieder Krieg« (ein ironischer Antikriegssong) damals wohl zu viel des Guten und die Liveübertragung wurde kurzerhand unterbrochen. Das Publikum blieb sichtlich irritiert zurück.
Die kurze Rückblende auf dem neuen Album verrät einiges über den aktuellen Zustand der Band: ZM sind auf dem Pik ihrer Karriere angekommen. Aber sie genießen es nicht. Ganz im Gegenteil. Das sich Auskotzen über die aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten geht auch auf ihrem vierten Album weiter – und ist doch irgendwie anders als zuvor. Denn ZM sind um einige persönliche Erfahrungen aus dem Showbiz reicher. Und es gelingt ihnen, über die kritische Auseinandersetzung mit ihrer steilen Musikkarriere auch allgemeingültige Probleme der Gesellschaft aufzuzeigen.
Panikattacken und toxische Männlichkeit
Sie rappen über Panikattacken, über Angst, das Verlangen, auch mal schwach sein zu dürfen, über toxische Männlichkeit und den legeren Umgang mit Alkohol. ZM nehmen auf 13 Songs die Hörer*innen mit auf eine Reise voller Selbstzweifel, voller Angeekelt-Sein von der Medienwelt und dem »Rap-Game« an sich. Das Album kann so als eine Bestandsaufnahme der ersten Dekade ihrer Karriere gelesen werden. Es transportiert vor allem eine große Müdigkeit von der ach so schönen Musikwelt. »Ich will raus, ich will raus«, rappt Testo auf der ersten Singleauskopplung »Exit«. »Viel zu lange schon abhängig von Applaus. Hatte Hype, hatte Rausch, alles brannte. Doch es ging vorbei und es blieb kalte Asche.«
Das sich Auskotzen über die aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten geht auch auf ihrem vierten Album weiter.
Stark an dem Album sind aber auch die zeitlichen Einordnungen und aktuellen gesellschaftspolitischen Bezüge, die Testo und Grim104 in ihren Songs vornehmen. Die beiden Rapper erinnern daran, dass in ihrem Gründungsjahr auch »Deutschland schafft sich ab« von Thilo Sarrazin herausgekommen ist (»Die Maske war gefall’n, es folgten zehn Jahre Verblödung. Eine endlose Spirale aus Skandalen und Empörung«), dass beim Fertigstellen des Songs »Kauft nicht bei Zugezogenen« der NSU aufflog, und sie verweisen mit dem mehr als gelungenem Song »Tanz auf den Vulkan« auf den immer weiter fortschreitenden Rechtsruck. Auf den Anschlag auf eine Synagoge in Halle bezugnehmend, heißt es in der Hook: »Wenn die Schlagzeilen uns ins Mittelalter schreien. Armeen der Einzeltäter um die Wette knallen. Und keine Atemmaske mehr in den Regalen. Dann lass dich fallen, tanz auf dem Vulkan.« Eine deutliche Kritik an der Mär vom Einzeltäter, die nur verschleiert, dass es in diesem Land ein strukturelles Problem mit Rassismus gibt.
Hadern mit der Kunst
Zehn Jahre nach ihrer Gründung wirken ZM ausgelaugt, müde, zerstört und desillusioniert von den politischen Entwicklungen in diesem Land, aber auch von den Erfahrungen aus ihrer persönlichen Karriere. Das spiegelt sich in den Texten wider, nicht aber in der Art und Weise, wie sie diese vortragen – und schon gar nicht in der Musik. Auch wenn es weniger punkig zur Sache geht und Grim104 weniger schreit, ist das Album mit einer gehörigen Portion Power aber auch mit ein paar versprengten Popeinflößen ausgestattet.
In einem Interview, das ich im Zuge der Promo für »Alle gegen Alle« mit Grim104 und Testo geführt hatte, antwortete Testo auf die Frage, ob sie sich als Polit-Rapper bezeichnen würden: »Nö. Wir sind als Menschen politisch und als Künstler bilden wir auch politische Gedanken ab, aber meine Kunst hat nicht als erste Priorität, eine politische Agenda zu verfolgen.« Drei Jahre später hadern die beiden mit ihrer Kunst und stellen sich offensichtlich eine andere Frage: Wie können wir unsere Kunst eigentlich verwirklichen in diesem Musikbusiness, indem es nur noch um Zahlen, Markt und Verwertbarkeit geht? »Ich bin so müde vom Ringen zwischen Kommerz und Kunst«, rappt Grim104 im ersten Song. Und Testo fragt sich »jetzt sind es schon zehn Jahre, die ich in den Abgrund starre. Aber wird es wirklich schlimmer oder wird mein Blick nur klarer? Wird es wirklich dümmer oder werd‘ ich immer schlauer? Frag mich in zehn Jahren nochmal, dann wissen wir’s genauer.« Hoffen wir, dass wir die Antworten darauf in den kommenden Jahren von Testo und Grim104 in Gestalt weiterer Alben bekommen werden.