Lieber gut beraten als schlecht vertreten
Migrantische Arbeiter*innen bleiben in gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen oft außen vor – aber warum?
Von Mouna Maaroufi
Seit einigen Jahrzehnten und insbesondere seit der EU-Osterweiterung wird das Angebot mehrsprachiger arbeitsrechtlicher Beratungen ausgebaut. Durch EU-, Bundes- oder Landesförderungen werden so gewerkschaftsnahe Infrastrukturen aufgebaut. Diese sollen dem Schutz migrantischer, mobiler und prekärer Arbeitenden dienen, welche die Einzelgewerkschaften nicht (hinreichend) erreichen und vertreten. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist die Faire Mobilität, aber auch Träger, wie Arbeit und Leben haben ihre Angebote erweitert. Neben vereinzelten Angeboten für Drittstaatsangehörige, etwa das der Fachstelle Migration und Gute Arbeit Brandenburg, wo die Verfasserin dieses Beitrages als Beraterin arbeitet, wurde zuletzt auch die arbeitsrechtliche Beratung für Geflüchtete über die vom Europäischen Sozialfonds geförderten Integration durch Qualifikation-Netzwerke ermöglicht. Und auch unabhängige oder selbstorganisierte Gruppen bieten arbeitsrechtliche Beratung an, so die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg, das Münchener Worker Centre oder die Berlin Migrant Strikers.
Die unterschiedlichen Zugänge, Perspektiven und Fördermittel spielen durchaus eine Rolle bei der Gestaltung dieser Beratungsangebote, die wiederum einzelne Berater*innen unterschiedlich auslegen. Die vielfältigen Voraussetzungen müssen bei dem Versuch einzuschätzen, was die Beratungslandschaft für gewerkschaftliche Organisierung und Arbeitskämpfe bedeutet, berücksichtigt werden. Der Artikel »Verschweigen, verdrängen, ignorieren« von Elmar Wigand in ak 661, der den beeindruckenden spontanen Arbeitskampf auf Bornheimer Spargelfeldern und die unterstützende Rolle der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) beschreibt, tut dies leider nicht.
Die teils sehr aufwendige und kleinteilige Beratungsarbeit leisten Einzelgewerkschaften nicht, da sich eine Gewerkschaftsmitgliedschaft für die kurzweilig prekär oder saisonal eingestellten Arbeiter*innen meist nicht rechnet. Auch die FAU hat trotz ihrer umfangreichen basisdemokratischen Organisation nicht die Kapazität, im benötigten Ausmaß auf die Ansprüche einzelner Arbeitenden einzugehen. Insofern bleiben migrantische Arbeiter*innen mit ihren ungleichen aufenthalts- und sozialrechtlichen Bedingungen und Abhängigkeiten in rechtlichen und gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen oftmals außen vor.
Öffentliche und organisatorische Freiräume
Wenn nun die EU, der Bund und die Bundesländer Gelder dafür bereitstellen, auf diese komplexen und heterogenen Ausbeutungsverhältnisse einzugehen, gilt es meiner Meinung nach, dies nicht als Konkurrenz- und Einhegungsangebot der Organisierung von Arbeitenden zu verstehen, sondern dies zu nutzen und sich anzueignen. Sicher, die autonome Ausgestaltung der Projekte mit staatlicher Förderung ist nicht per se gegeben. Aus eigener Erfahrung als arbeitsrechtliche Beraterin beobachte ich aber, dass es durchaus Gestaltungsspielräume gibt. Und zwar so große, dass sich Vorgehen und Ausmaß der Beratungs- und Bildungsarbeit je nach Person, Kontext und Kooperationspartner unterscheiden – und auch davon abhängen, wie die Ratsuchenden die Beratung wahrnehmen, annehmen und einfordern. (1)
Die kurzen Arbeitsverhältnisse sind zurückzuführen auf strukturelle Veränderungen in logistifizierten Arbeits- und Produktionsregimen.
Neben politischer Bildungsarbeit und der Einforderung von Rechtsansprüchen sind auch kollektive Aktionen, die über die Einzelfallberatung hinausgehen, Teil unseres Selbstverständnisses als arbeitsrechtliche Beratungsstelle. Zu nennen wären Informationsveranstaltungen in der Landwirtschaft, vor Logistikzentren und in Gemeinschaftsunterkünften von Geflüchteten. Denn arbeitsrechtliche Konflikte werden zunächst oft im Betrieb von isolierten Beschäftigten ausgefochten. Damit Berater*innen oder (Basis)Gewerkschaften unterstützend eingreifen können, muss erst ein offener und vertrauenswürdiger Kontext gefunden oder geschaffen werden.
Neben (außer)gerichtlichen Prozessen gegen Arbeitgeber wird die Einforderung von Sozialleistungen oder Prozesskostenhilfen unterstützt, ohne die die Durchsetzung von Rechtsansprüchen ungemein schwieriger wäre. Dabei stellen wir immer wieder fest: Rechtliche Grundlagen genügen oft nicht, um den vielfältigen Formen der Ausbeutung, der Spaltung und des Rassismus auf einem prekarisierten Arbeitsmarkt zu begegnen und kollektive Ansprüche zu stellen. Das liegt auch daran, dass Zugänge zu Arbeitsgerichten und ein Verbandsklagerecht fehlen.
In dem Artikel von Wigand wird jedoch nicht nur die Geltendmachung rechtlicher und finanzieller Ansprüche von einzelnen Arbeitenden als kaum der Mühe wert dargestellt. Vielmehr wird auch die Fehlannahme verbreitet, dass die Einforderung individueller Ansprüche weitere Organisierung verhindere. Es klingt ganz so, als ob die Arbeitenden, die sich durchzusetzen wussten, danach alle Erinnerung und Erfahrung ihrer Ausbeutung ausblenden. Meine Beratungserfahrung und Forschung widersprechen dem: Die erlebte Ungerechtigkeit bleibt weiterhin Thema – und leider auch Realität. Nur wird die Erfahrung mit dem Bewusstsein verbunden, nicht ganz allein dazustehen und sich wehren zu können.
Oft geht es um den Schutz nachfolgender Arbeiter*innen
Oft begründen die beratenen Arbeiter*innen ihre Wahrnehmung von Beratung und gerichtlichen Prozessen explizit damit, dass es ihnen um Konsequenzen für den Arbeitgeber und den Schutz nachfolgender (migrantischer) Angestellten gehe – und eben nicht nur um Geldansprüche. Meist arbeiten sie ohnehin nicht lange genug in einem Betrieb, um bessere Bedingungen für sich selbst erstreiten zu können. Die kurzen Arbeitsverhältnisse sind zurückzuführen auf strukturelle Veränderungen in logistifizierten Arbeits- und Produktionsregimen. Ein Kennzeichen dieses sind ungleich und individualisierend gestaltete Beschäftigungsformen – wie zum Beispiel in der Leiharbeit, wo ein fester Arbeitsplatz oder eine Kollegenschaft ausgeschlossen ist.
All das sowie rassistische Spaltungsmechanismen erschweren somit, dass sich Arbeitende zusammenschließen und ihre Arbeitskämpfe verbinden. Ja, Einzelfallberatung allein reicht nicht aus und sollte kämpferischer und kollektiver gedacht werden. Doch es muss auch auf die heterogenen und fragmentierten Bedingungen und Bedürfnisse von Lohnabhängigen eingegangen werden. Nur so können überhaupt erst die nötige individuelle Verankerung und kollektiven Verknüpfungen geschaffen werden, die im besten Fall über Arbeitsort, Betrieb und Branche hinausreichen.
Feministische und post-operaistische Ansätze verweisen seit Langem auf die Bedeutung alltäglicher Kämpfe, die oft von ihren Akteuren bewusst unsichtbar gemacht werden – aufgrund fehlender Macht- und Repräsentationsressourcen. Versuche, sich Ungleichheit und Ausbeutung unauffällig zu entziehen und zu verweigern, sind dennoch wichtige Mittel für strukturelle und letztlich kollektive Aushandlung von Arbeitsbedingungen und -beziehungen – insbesondere dann, wenn es an Arbeitskräften mangelt. Die Aufsuchung von Beratung stellt einen Weg dar, sich zu weigern und zu wehren sowie schlechte Arbeitsverhältnisse gestärkt zu verlassen und Wissen über Ausbeutungs- und Widerstandserfahrungen weiterzutragen.
Ich sehe meine Rolle als arbeitsrechtliche Beraterin zumindest so, dass wir schon bestehende Arbeitskämpfe – so unsichtbar, unterschiedlich, alltäglich und individuell sie auch sein mögen – durch unsere sprachlichen, rechtlichen und institutionellen Ressourcen bestärken, Wissen darüber teilen und Verbindungen zu anderen Arbeitenden, Arbeitskämpfen und Akteuren wie (Basis)Gewerkschaften herstellen.
Anmerkung:
1) Ein weiterer Aspekt, der im Artikel in ak 661 unterschätzt wird, ist die Prekarität der zumeist migrantischen Beraterinnen. Während es Zuspruch finden sollte, dass zumindest in diesem Bereich Mehrsprachigkeit in einer deutschen Arbeitsgesellschaft anerkannt wird, stellt die Projektförderung die Beraterinnen vor unsichere Aussichten, Kettenbefristungen und hohe Arbeitslast mit wenig Fortbildungsmöglichkeiten.