Rekommunalisiert mit Niedriglöhnen
Beschäftigte der Charité-Tochter CFM streiken wieder – der Betrieb ist inzwischen vollständig Eigentum des Landes Berlin, verbessert hat sich noch nichts
Von Lucy Redler
Auf dem Transparent, das die Streikenden zu jeder Demonstration oder Kundgebung im Rahmen des Streiks mitnehmen steht: »14 Jahre CFM Tarifflucht in der Verantwortung des Senats«. Vor vier Jahren stand noch die Zahl zehn auf dem Transparent – jedes Jahr wird die Zahl auf dem Transparent durch eine neue überklebt. Ich begleite den Kampf für einen Tarifvertrag, gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit und die Wiedereingliederung der Service-Tochter CFM in die Charité seit dem ersten Streik im Jahr 2011 und habe die Ausgründung der nicht-medizinischen Bereiche in die CFM unter Rot-Rot im Jahr 2006 miterlebt. Selten habe ich eine so ausdauernde und zähe Belegschaft kennengelernt, die trotz aller Widrigkeiten – Befristungen und Union Busting etwa – nicht nachlässt. Respekt!
Danke heißt mehr Gehalt
Die Beschäftigten haben nach 14 Jahren allerdings noch immer keinen Tarifvertrag, obwohl die Angleichung an den Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TVÖD) Teil des rot-rot-grünen Koalitionsvertrags 2016 ist. Daniel Turek, Mitglied des ver.di-Betriebsgruppenvorstands bei der CFM, zufolge verdienen 2.400 Beschäftigte der CFM 700 Euro netto weniger für die gleiche Arbeit als jene, die an der Charité festangestellt sind.
Es ist noch nicht lange her, da wurden die Beschäftigten in den Krankenhäusern als systemrelevante Held*innen beklatscht. Zu Recht sprachen viele über die Pflegekräfte und forderten eine bedarfsgerechte Personalbemessung und bessere Bezahlung. Geschehen ist bisher aber nichts. Zu Unrecht war überdies in der Öffentlichkeit selten von den Reinigungskräften, dem Krankentransport, der Essenausgabe, der Sterilisation die Rede: all jene Bereiche, deren Beschäftigte bei der CFM arbeiten. Ohne sie geht nichts im Krankenhaus. Marco Pavlik, verantwortlicher ver.di-Sekretär, formulierte es beim Streik am 31. August so: »Man behandelt euch wie die Schmuddelkinder der Charité. Obwohl alle wissen: Ohne euch könnte die weltberühmte Charité einpacken.« Und: »Der Druck muss beim Regierenden Bürgermeister, bei den Senator*innen und allen Abgeordneten der Koalition ankommen, denn am Verhandlungstisch kommen wir gerade nicht weiter.« Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist Aufsichtsratsvorsitzender der Charité.
Einen ersten wichtigen Erfolg haben die CFM-Beschäftigten erreicht, als Anfang 2019 endlich die privaten Anteilseigner des Konsortiums VDH VAMED (Fresenius-Tochter), Dussmann und Hellmann aus der Charité ausschieden. Seitdem ist die CFM wie die Charité zu hundert Prozent Eigentum des Landes Berlins. Das macht es wiederum noch kritikwürdiger, dass sich an der schlechten Bezahlung nichts geändert hat. Am Geld kann es nicht liegen angesichts der Subventionspolitik des Senats während der Corona-Krise. Niemand kann seitdem ernsthaft behaupten, es sei nicht ausreichend Geld vorhanden, um die Forderungen der CFM-Kolleg*innen zu erfüllen. Viel eher ist zu vermuten, dass der Senat einen Präzedenzfall vermeiden will, der berechtigte Begehrlichkeiten von anderen Beschäftigten in Tochterunternehmen landeseigener Unternehmen wecken könnte.
Union Busting und erneutes Outsourcing
Aktuell kommt es laut ver.di außerdem zu erneutem Outsourcing und gewerkschaftsfeindlichen Union-Busting-Maßnahmen. In Bereichen, in denen die Gewerkschaft stark vertreten sei, werden Logistiktätigkeiten an das Unternehmen GO Express & Logistics am Betriebsrat vorbei fremd vergeben. Zudem werde der Gewerkschaft zufolge Kolleg*innen aus den Bereichen Küche und Reinigung in Einzelgesprächen mit weiteren Ausgründungen und dem Verlust ihres Arbeitsplatzes gedroht. Laut ver.di liegen der Gewerkschaft schriftliche Aussagen dazu von 60 Kolleg*innen vor.
Der Berliner Senat will offenbar einen Präzedenzfall vermeiden, der berechtigte Begehrlichkeiten von anderen Beschäftigten in Tochterunternehmen landeseigener Unternehmen wecken könnte.
Sascha Kraft, Mitglied der Tarif- und Verhandlungskommission, kommentiert: »Es kann nicht sein, dass gewerkschaftlich organisierte ver.di-Mitglieder von Vorgesetzten an ihrem Streikrecht und ihrer Streikteilnahme gehindert werden. Man hat Mitarbeitern gedroht, dass sie versetzt oder ihre Bereiche outgesourct werden, wenn sie sich an dem Streik beteiligen und in ver.di organisieren. Wir wollen nicht mehr als das, was uns zusteht: Gleichen Lohn für gleiche Arbeit, das heißt TVÖD für alle in einem Betrieb.«
All das geschieht in einem öffentlichen Unternehmen unter einem rot-rot-grünen Senat. Es ist bekannt, dass Union Busting im Kapitalismus in privaten Konzernen ein häufig genutztes Mittel ist, um unliebsame gewerkschaftsaktive Kolleg*innen loszuwerden. Aber es kommt einem Skandal gleich, dass dies in einem landeseigenen Unternehmen passiert, aus dem die privaten Anteilseigner aufgrund des Drucks der Streiks rausgekickt wurden. Warum wird diese Praxis nicht unterbunden? Warum müssen Vorgesetzte, die zulassen, dass Beschäftigten in Einzelgesprächen unter Druck gesetzt werden, nicht ihren Hut nehmen? Warum werden Elemente der Privatisierung nach dem Ausscheiden der privaten Anteilseigner durch erneutes Outsourcing durch die Hintertür wieder eingeführt?
Kampf mit Signalwirkung
Die Streikenden an der CFM kämpfen nicht nur für sich. Gelingt es, einen Anwendungstarifvertrag an den TVÖD durchzusetzen und erfolgreich die gewerkschaftsfeindlichen Maßnahmen zu bekämpfen, wird dies eine positive Signalwirkung auf Beschäftigte in anderen Tochterunternehmen haben. Solidarität ist nötig und muss praktisch werden. Beschäftigte anderer Betriebe können die Kolleg*innen besuchen und ihre Unterstützung ausdrücken. Jede und jeder kann die Streikenden unterstützen und dabei helfen, den politischen Druck auf den Senat zu steigern, damit dieser den Koalitionsvertrag endlich umsetzt. Der Landesparteitag der Berliner Linkspartei hat sich am 22. August mit einem Beschluss hinter die Kolleg*innen gestellt und gefordert, die Union-Busting-Maßnahmen zu stoppen und – wenn auch nur schrittweise – den TVÖD zu übernehmen. Es ist für die Partei höchste Zeit, den Konflikt im Senat zuzuspitzen und einen Beitrag zu leisten, diese exemplarische Auseinandersetzung zu gewinnen.