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|ak 628 | Deutschland

Hauptsache einsperren

Die Bundesrepublik baut nicht nur hierzulande Gefängnisse für Geflüchtete, sie plant sie auch in nordafrikanischen Staaten

Von Carolin Wiedemann

Während in der Bundesrepublik Erstaufnahmeeinrichtungen sukzessive zu Abschiebegefängnissen umgewandelt werden, lassen deutsche Behörden auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen Lager errichten, in die Menschen gesperrt werden, damit sie nicht weiter nach Europa reisen. Das sind die beiden zentralen Anliegen der Bundesregierung in der Asylpolitik: Flüchtlinge abschieben und Menschen schon weit vor Europas Grenzen an der Migration hindern.

Sie verbinden sich nun in einem neuen Lagerkonzept, das Deutschland gezielt für Kinder entwickelt hat: Noch in diesem Jahr will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Marokko Heime für jugendliche Obdachlose bauen lassen, in die auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Deutschland abgeschoben werden können.

Deren Abschiebung war bislang kaum möglich, weil sie besonderen Schutz genießen. Vorrangig sollen in die Heime laut der Pläne des BAMF zwar nur straffällige und sogenannte »freiwillige Rückkehrer« deportiert werden. Doch »freiwillige Rückkehr«, so legen es die Erfahrungen mit der bundesdeutschen Bedeutung dieser Formulierung nahe, wird wohl auch bedeuten, dass den Jugendlichen Geld geboten wird, damit sie in die marokkanischen Lager ziehen. Deren Bau soll, wie die taz schrieb, einen Präzedenzfall schaffen: Nicht einmal minderjährige Flüchtlinge sind vor Abschiebung und Internierung sicher.

Das BAMF will »geeignete NGOs« beauftragen, die Heime zu bauen und zu betreuen. Welche NGOs das sind, ist bislang nicht bekannt. Klar ist dagegen, dass diese Lager auch Minderjährigen vor Ort ein neues Heim bieten sollen – und zwar eines, das sie vom Gedanken an eine Reise nach Europa abhalten soll: »Irreguläre Migration verhindern«, heißt es auf Platz eins der Liste der Gründe für diese Lager.

Sollen also Jugendliche eingesperrt werden, damit sie nicht nach Europa ziehen? Abwegig scheint der Gedanke nicht angesichts der »Migrationspartnerschaften«, die Deutschland und andere EU-Staaten mit Ländern schließen, die als Teil dieser Deals dann Gefängnisse für Migrant_innen betreiben. Das Genfer Global Detention Project zählt aktuell etwa in Marokko 16 Internierungseinrichtungen für Migrant_innen, in Senegal sechs. Sie alle wurden 2016 eröffnet, genau wie die sechs Gefängnisse in Niger. Immer wieder hat die EU den afrikanischen Ländern in den letzten Jahren mehr finanzielle Unterstützung zugesagt, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen, vor allem: »Fluchtursachen bekämpfen«. Das klingt nach einem humanitären Anliegen, in Wahrheit handelt es sich aber um ein Programm zum Festsetzen von Schutzsuchenden außerhalb Europas.

Die Praxis der Internierung stammt aus der Zeit des Deals zwischen Italien und Libyen, an dem sich die EU 2010 beteiligte: Diktator Muammar al-Gaddafi wurden 50 Millionen Euro in Aussicht gestellt, wenn er Flüchtlinge und Migrant_innen zurückhalte. Im Auftrag Europas ließ er im Mittelmeer aufgegriffene Menschen zurück nach Libyen bringen und sperrte sie auf unbestimmte Zeit in Haftlager, ohne ihren Anspruch auf Asyl zu prüfen. Menschenrechtsorganisationen prangerten schon damals Schläge, sexuelle Misshandlungen und Folter an. Heute sieht es in den 49 Migrantengefängnissen in Libyen kaum anders aus. Und trotzdem haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer auf ihrem Gipfel in Malta im Februar 2017 einen neuen Vertrag mit Libyen unterzeichnet, der genau die alte Praxis fortsetzt: Migrant_innen einsperren.

Die EU will zwar die bestehende Infrastruktur zu menschenwürdigen Auffanglagern ausbauen und nicht tragbare Camps schließen lassen. Wie und wann das passieren soll, ist aber unklar. Bis dahin nimmt die Europäische Union nicht nur hin, dass aktuell schätzungsweise 77.000 Menschen in Libyen in fensterlosen Zellen zusammengepfercht sind – sie bezahlt sogar genau dafür. Die Geflüchteten müssen vielfach im Sitzen schlafen, es gibt keine Dusche, keine Toilette, nur ein paar Plastikflaschen und -tüten. Sie haben Wunden und Hautkrankheiten. Frauen bekommen etwas mehr Platz, aber immer wieder werden sie von den Wärtern vergewaltigt. Je mehr Migrant_innen die Milizen in Libyen in den Lagern zusammenpferchen und je miserabler deren Lage dort ist, desto mehr Geld können die Akteure auf libyscher Seite wiederum von der EU verlangen. Schließlich ist auch in Libyen bekannt, dass die Europäer_innen keine Flüchtlinge wollen, dass sie aber auch keine Lager wollen, die »KZ-ähnlich« funktionieren, wie es das Auswärtige Amt anprangerte – und dass sie bereit sind, dafür viel zu investieren.

Deutschland drängt auf eine weitere EU-Migrationspartnerschaft: Mit Ägypten, wo es bereits 64 Migrantenknäste gibt, in denen die Bedingungen auch nicht besser sind, Demonstrant_innen vom Regime auf der Straße niedergeknüppelt und Kritiker_innen verschleppt und gefoltert werden. Wenn es um Flüchtlingsabwehr geht, ist das aber kein Thema: Ägypten ist einer der Partner des Projektes »Better Migration Management« der deutschen Entwicklungsagentur GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit).

Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sagte »reformorientierten« afrikanischen Staaten gerade 300 Millionen Euro zu. Zuvor hatte er verlauten lassen, dass die Migration aus Afrika »dramatisch zunehmen« könnte, wenn man nichts tue. Deutschland tut deshalb sehr viel: Das Better-Migration-Management-Projekt der GIZ treibt auch ein Abkommen mit dem sudanesischen Kriegsverbrecher Umar al-Baschir voran. In Shagarab, dem größten Flüchtlingscamp des Landes, hausen mehr als 15.000 Menschen, von denen immer wieder einige entkommen und versuchen, weiter nach Europa zu gelangen. Die GIZ plant, das Problem zu beheben – auch hier will Deutschland die Menschen effizienter wegsperren lassen.

Carolin Wiedemann

ist Soziologin und Journalistin. Sie schreibt vor allem über Geschlechterverhältnisse, digitalen Kapitalismus und rechte Mobilisierungen. Von ihr erschien zuletzt das Buch »Zart und frei. Vom Sturz des Patriarchats« im Verlag Matthes & Seitz.