Teures Unternehmen
Der Fall Lufthansa zeigt exemplarisch, dass Verstaatlichungen selten dem Allgemeinwohl dienen
Von Simon Poelchau
Was ist der Unterschied zwischen der Lufthansa und der Commerzbank auf der einen Seite und dem Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen auf der anderen? Antwort: Während der Staat bei ersteren ohne größere gesellschaftliche Diskussionen einsprang, wehren sich bei letzterem das Kapital und neoliberale Politiker*innen mit Händen und Füßen gegen den Berliner Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«, der eine Verstaatlichung großer Immobilienkonzerne vorsieht.
Vor diesem Hintergrund findet seit einiger Zeit eine Diskussion um die Verstaatlichung von Unternehmen statt. Prominentester Beitrag ist bisher ein Interview, das der Juso-Chef Kevin Kühnert im Mai 2019 der Wochenzeitung »Die Zeit« gab. »Warum sollen die Zehntausenden, die den Wert schaffen, mit einer aus Abhängigkeit heraus verhandelten Lohnsumme abgespeist werden? Warum gehört ihnen nicht zu gleichen Anteilen dieses Unternehmen: Würden wir dann keine Autos mehr erfinden und produzieren?«, fragte Kühnert rhetorisch in dem Interview mit Verweis auf den Autobauer BMW, um gleichzeitig festzustellen: »Was unser Leben bestimmt, soll in der Hand der Gesellschaft sein und demokratisch von ihr bestimmt werden.«
Zwei wesentliche Aspekte der Enteignungsdebatte werden darin deutlich: Der erste Aspekt betrifft die extreme Konzentration des Reichtums in den Händen einiger weniger. Dieses Argument erhielt in den letzten Wochen durch zwei Nachrichten noch mehr Brisanz. Erstens wurde bekannt, dass die BMW-Haupteigentümer*innen Susanne Klatten und Stefan Quandt während der Coronakrise alleine für 2019 zusammen fast 800 Millionen Euro Dividende erhalten. Zweitens belegte eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dass das reichste Zehntel hierzulande zwei Drittel des gesamtgesellschaftlichen Reichtums besitzt, während auf die untere Hälfte lediglich ein Prozent entfällt.
Der zweite Aspekt in der Enteignungsdebatte betrifft die Frage, wer in Wirtschaft und Gesellschaft eigentlich das Sagen haben soll: Darf bestimmen, wer das Kapital hat, oder soll demokratisch legitimiert über wirtschaftliche Belange entschieden werden?
Dieser Aspekt spielte auch beim Einstieg des Staates bei der Lufthansa eine Rolle. Insgesamt neun Milliarden Euro erhält die durch die Coronakrise ins Straucheln geratene größte deutsche Airline vom Fiskus. Der Bund bekommt im Gegenzug zur Finanzspritze, die mehr als das Doppelte des Börsenwertes des Konzerns ausmacht, lediglich einen Anteil von zunächst 20 Prozent am Konzern und zwei Sitze im Aufsichtsrat. Gleichzeitig versprach die Große Koalition in vorauseilendem Gehorsam dem Kapital, nicht zu viel Einfluss auf die Lufthansa ausüben zu wollen. »Der Staat ist kein guter Unternehmer«, wiederholte etwa Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein beliebtes Argument gegen die Staatsbeteiligung an Unternehmen.
Verstaatlichung von Krisenkosten
Dabei war lange noch nicht ausgemacht, ob dieser Deal überhaupt zustande kommt. Denn Lufthansa-Hauptaktionär Heinz Hermann Thiele ließ zunächst offen, ob er auf der eigens einberaumten Aktionärsversammlung gegen den Einstieg des Bundes stimmen werde. In einem Interview in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« kritisierte der Milliardär, dass der Lufthansa-Chef Carsten Spohr und die Bundesregierung nicht genug auf ihn eingegangen seien. Vor allem aber störte ihn, dass er und die anderen Aktionär*innen angeblich »überfallartig damit konfrontiert« wurden, dass sie eine »erhebliche Verwässerung ihres Aktienwertes und damit einen Wertverlust ihres Eigentums akzeptieren« sollten. Dennoch entschied sich Thiele für den Deal, Ende Juni gaben er und die anderen Aktionär*innen grünes Licht für den Einstieg des Staates. Schließlich ist die Teilverstaatlichung der Lufthansa der sicherste Weg, den Konzern und damit das Kapital der Aktionär*innen zu retten. Denn die Airline braucht das Geld des Bundes. Auf dem freien Kapitalmarkt hätte sie so viel, wie nun die Allgemeinheit reinbuttert, nie bekommen.
Die Teilverstaatlichung der Lufthansa ist der sicherste Weg, den Konzern und damit das Kapital der Aktionäre zu retten.
So erfolgen (Teil)verstaalichungen auch vornehmlich, wenn die Unternehmen in der Krise stecken und kurz vor der Insolvenz sind, und nicht, wenn es ihnen gut geht und sie Profite für ihre Eigentümer abwerfen. So stieg der Staat 2009 bei der Commerzbank mit 25 Prozent ein, als diese sich mit der Übernahme der Dresdner Bank während der Finanzkrise 2007/2008 übernommen hatte. Insgesamt flossen damals 16,4 Milliarden Euro zur Rettung in die marode Bank. Und auf der anderen Seite gibt es gegen die Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« so viel Widerstand, weil sie gegen hoch profitable Unternehmen gerichtet ist. Wäre die Immobilienbranche in der Krise, würde es vermutlich anders aussehen.
Einstiege des Staates in Unternehmen dienen eben nicht der Allgemeinheit, sondern dem Kapital. So wurden der Lufthansa weder zum ökologischen Umbau noch zur Beschäftigungssicherung Auflagen gemacht. Stattdessen will das Management jetzt mindestens 22.000 Vollzeitstellen streichen. Und auch bei der Diskussion um den Volksentscheid wiegt das Recht des Kapitals auf freie Verwertung für manch eine/n Politiker*in mehr als das Recht der Bevölkerung auf bezahlbaren Wohnraum.
Zeit der großen Privatisierungen
Dabei unterstanden sowohl die Lufthansa als auch ein Großteil der Wohnungen der Deutschen Wohnen lange gar nicht der Verwertungslogik des privaten Kapitals. Einen Großteil seiner Berliner Wohnungen erhielt der Immobilienkonzern durch die Übernahme der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft, GSW Immobilien, im Jahr 2013. Die Wohnungsbaugesellschaft war in kommunaler Hand, bis sie 2004 durch den rot-roten Senat privatisiert wurde. Auch die Lufthansa war einst in staatlicher Hand; komplett privatisiert wurde sie erst 1997.
Überhaupt waren die 1990er Jahre und die frühen 2000er Jahre die Zeit der großen Privatisierungen. Mit der Postreform 1994 wurde die Privatisierung von Telekom, Deutscher Post und Postbank beschlossen. 1996 erfolgte als erstes der Börsengang der Telekom, im November 2000 wurde die Post an die Börse gebracht und im Juni 2004 die Postbank. Gestoppt wurde der Trend zur Privatisierung dann im Zuge der Finanzkrise 2007/2008, als übrigens nicht nur die Commerzbank teilverstaatlicht wurde; auch der Börsengang der Deutschen Bahn wurde damals angesichts der Krise abgeblasen.
Mal schauen, bei welchem Unternehmen als nächstes die Privatisierung zurückgedreht wird, weil es mit der Kapitalverwertung nicht mehr klappt.