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Das Modell Maxingpark

Warum kolonialistische Statuen in Österreich so bald nicht niedergerissen werden

Von Jens Kastner

In den 1860er Jahren Kaiser von Mexiko, heute ein Standbild im Wiener Stadtteil Hietzing: Ferdinand Maximilian von Habsburg. Foto: Jens Kastner

Im Kontext der Black-Lives-Matter-Bewegung wurden an verschiedenen Orten in den USA und anderswo Statuen von Rassisten und Kolonialisten niedergerissen. Mit dem Standbild von Ferdinand Maximilian von Habsburg (1832-1867), das im Wiener Stadtteil Hietzing in unmittelbarer Nähe zu seinem Geburtsort Schloss Schönbrunn steht, wird das voraussichtlich so bald nicht passieren. Dabei war der Habsburger als Maximilian I. zwischen 1864 und 1867 Kaiser von Mexiko. Zwar war Mexiko keine Kolonie Österreichs, doch wurde das Kaisertum vom Großteil der Bevölkerung und von den Anhänger*innen des vorher und nachher regierenden, indigenen Präsidenten Benito Júarez als europäische Fremdherrschaft wahrgenommen. Aber der Umgang mit der proto-kolonialen Vergangenheit ist kompliziert.

In der Nähe des Maximilian-Standbildes, auf der anderen Seite des Schlossparks und leicht verborgen hinter ihm, gibt es zudem den Maxingpark. Auch er ist nach Ferdinand Maximilian von Habsburg benannt. Wesentlich bekanntere Spuren, die auf die österreichische Beteiligung an der europäischen Invasionspolitik vergangener Jahrhunderte verweisen, sind aber wohl andere: Die Federkrone Moctezumas, des letzten präkolumbianischen Herrschers Mexikos, liegt im Wiener Weltmuseum. Der Wiener Ballhausplatz, an dem sich das österreichische Kanzleramt befindet, hat seinen Namen in Anlehnung an das 1520/21 hier errichtete Ballhaus erhalten, in dem das von den Mexicas/Aztek*innen aus der »Neuen Welt« importierte Ballspiel von Hof und Adel gespielt wurde. Obwohl Österreich-Ungarn jenseits des Balkans nie Kolonien im eigentlichen Sinne politisch-administrativer Herrschaft besaß, war das Land doch über Jahrhunderte in die Handels- und Großmachtpolitik der europäischen Staaten involviert.

Kolonialismus ohne Kolonien

Es gibt dementsprechend eine ganze Reihe von Namen und Symbolen in Österreich, die auf eine koloniale Tradition hinweisen oder daran erinnern. Der italienische Marxist Antonio Gramsci hatte solche kulturellen Manifestationen, »die Bibliotheken, die Schulen, die Zirkel und Clubs unterschiedlicher Art, bis hin zur Architektur, zur Anlage der Straßen und zu den Namen derselben« als Teil der materialisierten ideologischen Struktur einer Gesellschaft beschrieben.

Einerseits ist Gramscis Hinweis nach wie vor evident. Gramsci ging in etwa davon aus, dass beispielsweise die Straßennamen die Bekanntheit des bezeichneten Gegenstands (des Namens oder des Ereignisses, nach dem die Straße benannt wurde), seines Kontextes und damit die Selbstverständlichkeit, ihn als Teil des kollektiven Gedächtnisses zu integrieren, erhöhten. Damit wird auch eine bis in die Gegenwart hineinreichende Akzeptanz für den Gegenstand und ein Einverständnis ihm gegenüber gesichert.

Andererseits lässt gerade das Beispiel kolonialer Spuren in der österreichischen Öffentlichkeit Zweifel an dieser Verknüpfung von Benennung, Bekanntheit und selbstverständlicher Akzeptanz aufkommen – und stellt damit die Funktion von materialisierter Ideologie für Herrschaft tendenziell in Frage. Nicht, dass kulturelle Manifestationen für Herrschaftsverhältnisse nicht mehr konstitutiv wären, aber die Beziehung zwischen ihnen scheint komplexer, als das in Gramscis Konzeption anklingt. Und dies ist typisch für Kolonialismus ohne eigentliche Kolonien. (1)

Inwiefern? Die kulturellen Manifestationen der Kolonialismus-ohne-Kolonien-Varianten – nennen wir sie wegen der Unauffälligkeit »Modell Maxingpark« – unterscheiden sich durch zwei Abweichungen von den meisten anderen Straßennamen oder Denkmälern, die namentlich die nationale Geschichte Österreichs aufrufen und mit konstituieren – seien es deren sozialdemokratische Aspekte in der Otto-Bauer-Gasse, benannt nach dem bekannten Austromarxisten, oder ihre konservativ-antisemitischen wie beim Denkmal für Karl Lueger, den Wiener Bürgermeister von 1897 bis 1910.

Die erste Abweichung: Während Bauer mit der Sozialdemokratie und dem Austromarxismus, Lueger mit Christlich-Sozialem, mit Stadtpolitik und Antisemitismus assoziiert wird, taucht ein zentrales Charakteristikum der Politik Maximilians – der Kolonialismus – als Assoziation kaum auf. Maximilian ist zwar bekannt, auch seine Kaiserzeit in Mexiko, aber Name und Ereignis werden nicht mit Ausbeutung, Ressourcenraub und mörderischer Politik in Bezug auf Einheimische und politische Gegner*innen assoziiert, die gemeinhin mit dem Wort Kolonialismus verknüpft sind. Wenn überhaupt benannt, wird die Habsburger-Herrschaft in Lateinamerika als »mexikanische Abenteuer« bagatellisiert.

Dass Maximilian seine politischen Gegner*innen per Dekret als Räuber klassifizieren und zur Tötung ohne Gerichtsurteil freigeben ließ, weiß kaum jemand.

Maximilians Inthronisierung war Teil einer Strategie des französischen Kaisers Napoleon III. Dieser wollte den Machtbereich Frankreichs in Amerika ausweiten. Der zunehmenden Isolation dieser französischen Übersee-Strategie fiel schließlich auch Maximilian zum Opfer. Er wurde 1867, nachdem Benito Juárez die Macht in Mexiko wieder zurückerobert hatte, zum Tode verurteilt und standrechtlich erschossen. Dieses Ereignis ist zumindest kunstgeschichtlich recht breit rezipiert worden, weil der impressionistische Maler Edouard Manet zeitnah drei Versionen dieser Erschießung gemalt hatte. Dass Maximilian zuvor seine politischen Gegner*innen, die Anhänger*innen von Juárez, per Dekret als Räuber klassifizieren und zur Tötung ohne Gerichtsurteil freigeben ließ, weiß hingegen kaum jemand. Diese Maßnahme kostete immerhin rund 9.000 Menschen das Leben.

Teil des »kommunikativen Gedächtnisses«?

Zweite Abweichung: Die koloniale Dimension wird zwar gesehen, aber nicht mit der Gegenwart in Verbindung gebracht – zumindest nicht in ihren gewaltsamen, ausbeutenden Dimensionen. Im Unterschied zu Otto Bauer und Karl Lueger sind Maximilian und die koloniale Tradition nicht mehr Teil des »kommunikativen Gedächtnisses«, wie der Kulturwissenschaftler Jan Assmann den alltäglich aktualisierten Teil des kollektiven Gedächtnisses genannt hat. Nicht nur der zeitliche Abstand, auch die quantitativ sehr geringe Involviertheit der österreichischen Bevölkerung in das Projekt sind die Ursachen dafür. Dass Maximilian I. von Napoleon III. gedrängt wurde, den Thron in Mexiko zu besteigen, und dass es keinen österreichischen Verwaltungsapparat in Mexiko gab, erleichtert selbstverständlich die kollektive Ausblendung aus der Gegenwart.

Dass der Gegenwartsbezug ausgeblendet werden kann, hat vor allem zwei Gründe. Der erste Grund ist das Fehlen der einklagenden Subjekte. Anders als in Großbritannien, Frankreich oder den Niederlanden gibt es in Österreich keine größeren Bevölkerungsgruppen, deren Vorfahren aus ehemaligen Kolonien kommen. Das heißt nicht, dass es nicht seit Jahren engagierte Aktivist*innen gäbe, die auf die Kolonialgeschichte und ihre Folgen aufmerksam machen. So hat die »Recherchegruppe zu Schwarzer österreichischer Geschichte und Gegenwart« schon in den frühen 2000er Jahren darauf hingewiesen, dass Schwarze Menschen seit mehreren Jahrhunderten in Wien leben. Auch gab es Kampagnen gegen das rassistische Logo des Meinl-Kaffeekonzerns und gegen Namen und Zeichen des Vorarlberger Biers »Mohrenbräu«. Aber es gibt keine Migration aus ehemaligen Kolonien, die sich heute merklich in Stadtvierteln, wissenschaftlichen Traditionen und/oder Essgewohnheiten niedergeschlagen hätte.

Der zweite Grund ist, dass die Bedeutung bestimmter Zeichen auch überschrieben wird. Eine solche Überschreibung hat im Rahmen der nationalstaatlichen Narration im Verhältnis zwischen Österreich und Mexiko vor allem mit der Geschichte des Nationalsozialismus zu tun: Die mexikanische Regierung unter Lázaro Cárdenas war 1938 die weltweit einzige, die gegen den so genannten »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich protestiert hatte. Darüber hinaus war das damalige Mexiko ein Land, in dem nicht wenige antifaschistisch gesinnte Österreicher*innen Asyl fanden. Das Jahr 1938 – und nicht die Jahre 1864 bis 1867 – wurde so, wenn etwa in den letzten Jahren Kunst aus Mexiko in Österreich ausgestellt wurde, zum politischen Referenzdatum, das die beiden Länder in Beziehung setzen sollte.

Zu den Effekten der Überschreibung gehören nicht nur die Leugnung der allgemeinen ökonomischen Bedeutung des Kolonialismus für alle europäischen Länder (auch für solche ohne Kolonien). Kolonialismus wird als normaler Teil der nationalen Geschichte rekonstruiert, der dem Land vor allem wertvolle Objekte und Bauwerke beschert hat. Die Entleerung und Überschreibung ermöglicht nicht zuletzt auch die Banalisierung des Kolonialismus im Bereich der Produktion kultureller Güter: So brachte die große Salzburger Stiegl-Brauerei erst 2016 die Biersorte »Stiegl-Columbus 1492« auf den Markt. Beworben wird es mit dem Slogan: »Ein Bier für Entdecker«.

Anmerkung:
1) Vgl. Patricia Purtschert, Barbara Lüthi, Francesca Falk (Hg.): Postkoloniale Schweiz. Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien, Bielefeld 2012.

Jens Kastner

ist Soziologe und Kunsthistoriker. Er lebt als freier Autor und Dozent in Wien.