Blackrock als multiples Machtzentrum
Der größte private Vermögensverwalter sieht sich als »soziales Gewissen« der Unternehmenswelt – die Realität ist eine andere
Von Lars Bretthauer
Eine gegenwärtige linke Kapitalismuskritik kommt um das global agierende Vermögensverwaltungsunternehmen Blackrock nicht mehr herum – schließlich ist es mit einer Einlagesumme von 6,16 Billionen Euro (Stand Juni 2019) der größte private Vermögensverwalter der Welt. Blackrock hält weltweit Anteile an einer Vielzahl von Unternehmen, ist der größte Einzelaktionär an der Deutschen Börse und an allen 30 DAX-Unternehmen beteiligt. Der Vermögensverwalter verfolgt grundsätzlich die Strategie, größter Anteilseigner, aber nicht Mehrheitsaktionär zu werden, das heißt, es werden lediglich Anteile zwischen drei Prozent (z.B. bei BMW) und acht Prozent (z.B. bei Vonovia) besessen (Stand April 2018).
Diese Strategie hat Blackrock jedoch zum größten Anteilseigner bei acht der 30 DAX-Unternehmen werden lassen. Auf dieser wirtschaftlichen Grundlage nimmt das Unternehmen erheblichen Einfluss auf eine Vielzahl von börsennotierten Unternehmen und erzeugt einen verschärften Renditedruck, der die maximale Rentabilität der eigenen Investitionen sichern soll. Dieser Renditedruck richtet sich nicht nur gegen die entsprechenden Konzerne und deren Beschäftigte, sondern auch gegen die von diesen bewirtschafteten und dadurch gesellschaftlich betroffenen Bereiche wie Wohnen, Pflege, Umwelt und Friedens- und Kriegspolitik.
Produkt des Finanzmarktkapitalismus
Blackrock jedoch ausschließlich auf der Grundlage seines Finanzvolumens als das dominante Unternehmen des gegenwärtigen Kapitalismus hinzustellen und dessen Machtfülle zu kritisieren, über- und unterschätzt das Unternehmen gleichermaßen. Es übersieht und überschätzt, dass Blackrock als Produkt des gegenwärtigen globalen finanzgetriebenen Akkumulationsregimes entstanden ist. Bei der Firma handelt es sich um die Ausgründung einer großen US-Bank; seit 1994 ist es als eigenständiges Unternehmen aktiv. Seine dominante Position erreichte es unter anderem durch Übernahmen der Investmentabteilungen von Merryl Lynch und der Barclays Bank. Blackrock selbst gehört heute vor allem Unternehmen aus der Finanzdienstleistungsbranche. Größter Anteilseigner ist PNC Financial Services mit einem Anteil von über 25 Prozent.
Sämtliche negativen betrieblichen, politischen, sozialen und ökologischen Folgen kapitalistischen Investments werden systematisch ausgeblendet.
Von Blackrocks Erfolg profitieren nicht alle Anleger gleichermaßen, sondern vor allem jene, die über freies Eigenkapital verfügen. Dies sind institutionelle Anleger wie Banken, aber auch höhere Klassenfraktionen, die an einer Verwertung ihrer bestehenden Kapitalvermögen interessiert sind. Blackrocks wirtschaftliche Macht ist somit eng an die bestehende globale Klassenstruktur gebunden, während der vom ihm ausgehende Renditedruck die bestehenden Klassenunterschiede verschärft. Auch hierin zeigt sich, dass Blackrock in die Struktur finanzgetriebener Akkumulationsprozesse eingebunden ist.
Blackrocks wirtschaftliche Struktur als Vermögensverwalter und Investmentunternehmen ist dabei nicht einzigartig, sondern steht stellvertretend für weltweit agierende Investmentfirmen. Kapitalismustheoretisch kann hierbei nicht von einer simplen Abspaltung und Dominanz des Finanzsektors gegenüber »produktiv tätigen« Unternehmen gesprochen werden. Stattdessen handelt es sich um eine kapitalismusimmanente Arbeitsteilung und Kooperation, in der Investmentunternehmen produktive Sektoren mit Kapital versorgen. Seit den 1980er Jahren hat sich im Rahmen dieser Arbeitsteilung eine finanzkapitalistische Gewichtsverlagerung zwischen produktivem Sektor und Finanzsektor ergeben. Dieses Wachstum des Finanzsektors beruhte auf zwei politischen Weichenstellungen: der neoliberalen Deregulierung internationaler Finanzmärkte und der Privatisierungspolitik, die vormals staatlich verwaltete Dienstleistungsbereiche kapitalistischem Investment öffnete.
Aladdin – Echtzeiteinblick in die Weltwirtschaft
Die Machtposition des New Yorker Unternehmens beruht jedoch nicht nur auf seinem Einlagevermögen, sondern ebenso auf dem Datenanalysesystem Aladdin. Gegenwärtig bietet es den differenziertesten Echtzeiteinblick in die Entwicklungen der Weltwirtschaft. Aladdin kann als neues wissenspolitisches Machtzentrum verstanden werden, auf dessen Grundlage Blackrock eigene Investitionen absichern und marktbezogene Erkenntnisse an andere Unternehmen verkaufen kann. Aladdin fördert somit die bereits im staatlichen Sektor zu beobachtende digital-autoritäre Tendenz, dass sich wenige Machtakteure weitreichende digitale Wissensressourcen aneignen. Gleichzeitig stärkt das Analysesystem die bestehende staatliche Überwachungsarchitektur: So wurde das Unternehmen von der US-amerikanischen Regierung verpflichtet, seine Unternehmensdaten an die US-Geheimdienste weiterzuleiten.
Blackrocks öffentliche Prominenz resultiert zudem maßgeblich aus dem Versuch, ein globales politisches Machtzentrum zu werden. Das Unternehmen unterfüttert seine wirtschaftliche Tätigkeit mit einer starken Lobbystruktur aus prominenten Personen des öffentlichen Lebens, insbesondere ehemaligen Parteipolitikern. Für Deutschland betraf dies vor allem den CDU-Politiker Friedrich Merz, der von 2016 bis 2020 als Aufsichtsratsvorsitzender und Lobbyist für Blackrock Deutschland agierte.
Politisch vertritt der Vermögensfonds einen radikal neoliberalen Kurs. Permanent entwirft er neue Visionen einer »Good Governance«, die vor allem durch Unternehmen und ihre Wohltätigkeit bestimmt ist. Gemeinwohlorientierte oder sozialdemokratische Staatsverständnisse mit staatlich verfassten sozialen Rechten werden dadurch ebenso wie radikaldemokratische Modelle der politischen Selbstverwaltung in neoliberaler Absicht verdrängt und sollen durch die »charity« transnationaler Unternehmen ersetzt werden. Überdies wird ein Privatisierungskurs vertreten, etwa in Bezug auf bisher staatliche Rentensysteme.
Blackrocks Versuche, die politische Agenda in den jeweiligen Nationalstaaten mitzubestimmen, hatten durchaus Erfolg. So schaffte der Vermögensverwalter es, sich in Teilen der Öffentlichkeit als »soziales Gewissen« der Unternehmenswelt zu präsentieren. Blackrock-CEO Larry Fink stieß beispielsweise im Januar 2020 eine Debatte über »nachhaltige Investments« an. Nach Ansicht vieler Kommentator*innen zeigte das, dass die gegenwärtigen umweltpolitischen Proteste (Friday for Future, Ende Gelände u.v.m.) »in der Unternehmenswelt angekommen sind«. Finks Initiative hatte zur Folge, dass die Europäische Kommission im April entschied, sich bei Umweltauflagen für Banken von Blackrock beraten zu lassen – trotz der weiter bestehenden Beteiligung von Finks Unternehmen an fossilen Energien.
Politisch vertritt der Vermögensfonds einen radikal neoliberalen Kurs.
Daneben präsentiert sich Blackrock als eine Art »wirtschaftspolitische Aufsichtsbehörde«, die aufgrund eigener Aktienbeteiligungen eine Weisungsbefugnis gegenüber den Unternehmen habe und notfalls Umweltstandards durchsetzen könne. Auf diese Weise formuliert der Vermögensverwalter Bündnisangebote an neoliberale Akteure, die seit Jahrzehnten »unternehmerische Selbstverpflichtung« propagieren – und nun mit Blackrock einen machtvollen Akteur zur Durchsetzung solcher Konzepte haben könnten.
Schließlich werden von staatlicher Seite zunehmend Aufgaben an Blackrock delegiert oder als Auftrag vergeben. So beauftragte die US-Notenbank FED im März das Unternehmen damit, Anleihen von krisenhaften US-Firmen zu kaufen. Der Interessenskonflikt zwischen öffentlichen Geldern und der privaten Beteiligung des Vermögensfonds an den jeweiligen Firmen wurde dabei nicht thematisiert.
Auf Protest wird mit Washing-Initiativen reagiert
Aus einer gesellschaftskritischen, linken Perspektive weist Blackrocks Politik freilich riesige Leerstellen auf: Sämtliche negativen betrieblichen, politischen, sozialen und ökologischen Folgen kapitalistischen Investments, die als Folge von Renditedruck und dem kapitalismusinhärenten Zwang zur Profitmaximierung existieren, werden systematisch ausgeblendet. Entsprechend haben sich weltweit auf den Feldern Militarisierung, Umwelt, Arbeitsrechte, Wohnen/Mieten, dem Pflegebereich und bei der Verteidigung von Rechten indigener Gruppen Protestbewegungen entwickelt, die versuchen, Blackrocks Politik anzugreifen und zu skandalisieren. So kritisierten im November 2019 in Großbritannien und Deutschland umweltpolitische Gruppen die Beteiligung des Fonds an Firmen, die an der Entwaldung des Amazonasgebietes beteiligt sind.
Der Vermögensverwalter selber hat auf solche Proteste mit unterschiedlichen »Washing«-Strategien geantwortet: Gegenüber dem Vorwurf, in umweltschädliche Geschäftszweige zu investieren, reagierte Blackrock mit der Auflegung eines ökologisch nachhaltigen Investitionsfonds. Zudem kündigte die Firma Anfang des Jahres an, »nachhaltiges Investment« auch gegenüber jenen Unternehmen durchzusetzen, an denen es Anteile besitzt (green-washing). Passiert ist bisher wenig, wie im Februar die Auseinandersetzung um die Siemens-Kohlemine in Adani/Australien gezeigt hat – Finks Unternehmen ist immerhin größter Einzelaktionär des Konzerns.
Typisch auch ein Vorfall aus dem Jahr 2018. Nach einem Amoklauf in einer US-Schule kündigte Blackrock an, einen Investmentfonds ohne Beteiligung von Waffenfirmen aufzulegen – allerdings ohne seine grundsätzlichen Investitionen in Rüstungsfirmen zu beenden (silver-washing). Schließlich betont der Vermögensfonds kontinuierlich seine »soziale Verantwortung«, indem es etwa Finanzprodukte für Personen mit geringem Einkommen anbietet. So bereitet Blackrock momentan ein Fondsmodell für eine »Rente für die kleinen Leute« vor – ohne jedoch auf die negativen sozialen Effekte seiner eigenen renditeorientierten Unternehmenspolitik wie Hunger, Armut, Verdrängung und Exklusion einzugehen (red-washing).
Eine Kritik an Blackrock muss dessen spezifische Rolle exakt konturieren: Blackrocks Teilverantwortung als Investor in sozial zerstörerischen, kriegstreiberischen und umweltzerstörerischen Unternehmensmodellen; der von Blackrock ausgehende Renditedruck, der Wünschen nach einer gemeinwohlorientierten bzw. antikapitalistischen Ökonomie systematisch widerspricht; Blackrocks neoliberale Agenda, die Privatisierungen u.a. bei Rente, Pflege und Wohnen vorantreibt; sowie Blackrocks permanenter Versuch, sich als »Wohltäter« und »Problemlöser« zu inszenieren, ohne auf die kapitalistischen oder investmentbezogenen Ursachen gesellschaftlicher Krisen einzugehen.
Eine solche Kritik sollte zudem nicht von Staaten sprechen, die gegenüber Akteuren wie Blackrock vermeintlich »ohnmächtig« seien: Stattdessen ist die markante Stellung der Firma nicht ohne die massive neoliberale Deregulierungswelle zu verstehen. Unternehmen wie Blackrock oder dessen Kapitalinteressen dominieren auch nicht »plötzlich« den Staat, da lange vor Gründung des Vermögensverwalters Lobbystrukturen von Großunternehmen rund um den parlamentarischen Betrieb existierten. Blackrocks Erfolg ist somit nicht der Beginn einer zunehmenden Dominanz von Kapitalinteressen im Staat – das Unternehmen beschleunigt und verstärkt aber die Verdrängung sozialdemokratischer oder anti- und postkapitalistischer Politikentwürfe massiv.