Kritische Man-Babies
Auch im Krisenjahr 2020 sind Männer überfordert, wenn es um sexuelle Gewalt in linken Räumen geht. Von hilflosen Gehversuchen einer verunsicherten Generation
Von Bilke Schnibbe
2020 ist ein hartes Jahr für linke Männer in Deutschland. Erst kam raus, dass linke, sogenannte Freiräume wie die Festivals Monis Rache und die Fusion Horte sexueller Übergriffe sind. Dann wurde bekannt, dass es in verschiedenen linken Kollektivbetrieben teils massive sexuelle Übergriffe durch linke Männer gab. Es ist ein Armutszeugnis, dass es solche Erschütterungen braucht, damit »Feministen« auf die Idee kommen, dass das mit irgendetwas nebulös Strukturellem zu tun haben könnte. Guten Morgen, lieber linksradikaler Mann, herzlich willkommen in der Diskussion, die wir dir schon seit Jahrzehnten hinterhertragen.
Auch dieses Mal war es ein Schauspiel, zu beobachten, wie es dem ein oder anderen dämmerte, dass das, was er an feministischen Forderungen auf dem Papier unterstützt, auch in seinem Umfeld umgesetzt werden müsste. Wie ihm aufgeht, dass Feminismus nicht nur etwas ist, dass man als linke Person irgendwie »gut« finden muss, damit einem nicht aufs Dach gestiegen wird. Die Reaktionen von linken Männern auf die aktuellen Ereignisse zeigen vor allem zwei Dinge: Einerseits glauben große Teile der Linken, allen voran heterosexuelle Männer, eigentlich nicht daran, dass es wirklich »so schlimm« ist, wie feministische Diskurse behaupten. Andererseits haben linke Männer die Hosen gestrichen voll, dass sie der Nächste sind, der für seine mehr oder minder heimliche Misogynie vom imaginierten Feminazimob öffentlich einkassiert wird.
Beides zusammen verhindert, dass es voran geht. Männer werden im Wesentlichen nur dann aktiv, wenn etwas wirklich nicht zu Ignorierendes vorfällt. Nach dem Bekanntwerden der Monis-Rache-Vorfälle gründeten sich Telegramgruppen, in denen Männer Unterstützung für betroffene und politisch aktive FLINT-Personen organisierten.
Linke Männer werden zu Kleinkindern
Es ist nicht verwunderlich, dass diese punktuell aufkommenden Vernetzungen zum großen Teil wieder in sich zusammenfielen, nachdem die Aufmerksamkeit für die Übergriffe auf dem Festival abnahm. Es müsste eigentlich ein Skandal sein. Ist der Anlass oder der feministische Druck nicht vorhanden, tun Männer nur das Allernötigste. Beim nächsten Vorfall wird es ähnlich unbeholfene Suchbewegungen geben, wie man denn nun bloß reagieren soll, wenn sich das nicht ändert. Auf ein strukturelles Problem bräuchte es eben eine strukturelle Antwort, so notwendig es auch ist, im Einzelfall konsequent zu handeln. Diesen Satz sollten sich linke Männer hinter die Ohren schreiben, wenn sie es schaffen wollen, ihre Erkenntnis, dass es tatsächlich ein Problem gibt, nicht wieder in Passivität münden zu lassen.
Kim Possters Text in dieser Ausgabe zeigt anhand der Geschichte der linken, profeministischen Männerbewegung, dass kontinuierliche Selbstkritik und Offenheit für feministische Kritik die Grundlage einer solchen strukturellen Selbstauseinandersetzung sein müssen. Davon ist aktuell wenig, um nicht zu sagen: nichts, zu sehen. Es gibt die Arbeit der profeministischen Männerbewegung, auf der aufgebaut werden, deren Erkenntnisse über Scheitern und Fehler genutzt werden kann. Es tut nur eben kaum ein linker Mann. Stattdessen herrscht, wie immer, König Selbstinfantilisierung.
Wenn es darum geht, wie mit (sexueller) Gewalt umgegangen werden sollte, dann sind linke Männer regelmäßig ratlos. Erwachsene Männer verhalten sich wie verschüchterte Kinder: Was soll ich nur tun? Alles ist so schwierig! Sie richten ihre großen Kulleraugen auf Feminist*innen, die ihnen sagen sollen, wie man denn nun »richtig reagiert«. Das passiert sowohl im Kleinen, wenn zum Beispiel ein guter Freund übergriffig geworden ist, wie auch im Großen, eine übergreifendere politisch-aktivistische Strategie betreffend. Warum ist das so? Warum werden sonst so wortgewandte, linksradikale Rabauken auf einmal zu kleinen hilflosen Man-Babies ohne Meinung?
Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Handlungsunfähigkeit liegt daran, dass auch linke Männer die Impulse kennen, welche Gewalt gegen FLINT*, insbesondere Frauen, zugrunde liegt. Kein Mann kann sich einfach entscheiden, den vergeschlechtlichten Ansprüchen, die die Gesellschaft an Männer stellt, von sich zu halten. Männer konkurrieren mit anderen Männern um den Zugang zu Frauenkörpern. Männer sind in unserer Gesellschaft mehr wert als Frauen.
Ich würde behaupten, dass sich viele linke Männer in ihrem Leben schon Frauen gegenüber daneben benommen haben und nun beobachten, wie Genossen für Dinge aufs Mett kriegen, die so ähnlich abgelaufen sind wie ihre eigenen Taten. Oder unsere Genossen ertappen sich dabei, dass sie irgendwie gar nicht »so schlimm« finden, was Feminist*innen ankreiden. Wer würde da nicht lieber die Fresse halten, als sich der Gefahr auszusetzen, sich mit der eigenen fiesen Misogynie zu beschäftigen und dafür möglicherweise Ärger zu kriegen. Genau diese Passivität stützt das System und verhindert, dass wir unsere Energie nicht immer nur in Feuerwehrarbeiten verpulvern, wenn dann mal wieder zutage tritt, wie gewalttätig es auch in unseren Räumen, unseren Beziehungen zugeht.
Sich potenzieller Kritik stellen
Anstatt in Lähmung zu verfallen, würde ich linken Männern empfehlen, überhaupt mal aktiv zu werden und sich der Gefahr auszusetzen, dann Kritik einstecken zu müssen. Es gibt nicht den richtigen Weg, wie auf Übergriffe reagiert werden »muss«, den Feminist*innen mysteriöserweise alle kennen und über den sich auch noch alle einig sind. Und es ist nicht die Verantwortung von FLINT*, Männern zu sagen, was sie mit ihren übergriffigen Freunden machen sollen.
Männer ziehen aus ihrer Selbstinfantilisierung, dass sich nichts ändert und sie schön klagen können, wie schwer es aber auch alles ist. Dass man es Feminist*innen einfach nicht recht machen kann. Ja, man kann es Feminist*innen nicht recht machen. Wir leben in einer Welt, die durch gewaltvolle Herrschaftsstrukturen zwischen Menschen gekennzeichnet ist. Im Geschlechterverhältnis ist nichts richtig, und das durchzieht alle Menschen und alle Bereiche des Lebens. Es gibt kein »Außerhalb« dieser Gewaltstruktur, und es gibt keinen Weg, sich individuell daraus zu befreien.
Vor diesem Dilemma sollten sich linke Männer nicht wegduckmäusern. Dieses Dilemma muss angenommen und ausgehalten werden. Das ist die Voraussetzung dafür, für das eigene Fehlverhalten Verantwortung zu übernehmen. Es ist die Voraussetzung dafür, selbst darauf zu kommen, was man mit dem übergriffigen Arsch im Freundeskreis macht. Nicht, weil DER Feminismus das vorschreibt, sondern weil man frei von Angst vor feministischer Strafe handeln kann. Weil man es aushalten kann, dass man selbst sexistische Dinge sagt, denkt, tut, auch wenn man sich vornimmt, nicht so zu sein.
Es ist jedes Mal wieder ein Schauspiel, zu beobachten, wie linke Männer mit ihrer Angst umgehen, selbst »einer von denen«, den schlechten Männern, zu sein. Und das ist nachvollziehbar, denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass Mann keiner von denen ist. Männlichkeit und Weiblichkeit ordnen Menschen in Rollen, die sie nicht einfach so ablegen können. Männlich sozialisierte Personen haben gelernt und lernen jeden Tag wieder, dass sie mehr wert sind, natürlich verhalten sie sich so. Und natürlich wird es dafür feministische Kritik geben. Die feministische Mami wird nicht kommen und dir eine 1+ geben, und dann darfst du in Ruhe Antifa machen.
Der kritische, bessere Mann
Ein Begriff, der im letzten Jahr in diesem Zusammenhang neuen Aufwind bekam, ist der der »kritischen Männlichkeit«. Kritische Männlichkeit soll ein Gegenkonzept sein zur veralteten, patriarchalen Männlichkeit. Der kritische Mann zeichnet sich dadurch aus, dass er sein Verhalten reflektiert und problematisches Verhalten abbaut. Im Zusammenhang mit diesem Begriff tauchen nun Workshopangebote, Vorträge und demnächst Bücher auf, in welchen Männern geholfen wird, zu erkennen, wie auch sie unter dem Patriarchat leiden. Ohne in Abrede stellen zu wollen, dass Männer unter dem leiden, was Männlichkeitsbilder ihnen vorschreiben, zeigt sich hier, wie wenig Überzeugungskraft der Fakt hat, dass Frauen im Patriarchat massiv benachteiligt sind.
Kritische Männlichkeit scheint etwas zu sein, das einladender ist als der Hinweis darauf, wie viele Frauen statistisch gesehen in ihrem Leben vergewaltigt wurden. Das liegt daran, dass kritische Männlichkeit »kritischen« Männern verschiedene Verheißungen bietet. Zum Einen besagte Erlösung davon, ständig vermeintlich aus dem Nichts für das eigene Verhalten outgecallt werden zu können. Mann hat sich ja reflektiert und ist kritisch. Ein guter Mann.
Zum Anderen können sich kritische Männer noch effektiver über andere Männer erheben. Sie sind nicht nur besser als der fiese Mainstream-Sexist, nein, sie sind auch besser als der fiese Antifa-Macker. Das Alleinstellungsmerkmal, ein geläuterter Mann zu sein, lässt sich darüber hinaus hervorragend in Buchverträgen und Workshops versilbern. Das ist natürlich sehr viel besser, als im Hintergrund in mühseliger, langfristiger Strukturarbeit vorzusorgen, dass Gewalttaten in linken Räumen verhindert werden, oder dass beim nächsten Super-GAU nicht wieder alle Augen auf Betroffene und Feminist*innen gerichtet sind.