Rommelwirbel
Während eine internationale Debatte um Statuen von Kolonialverbrechern tobt, erhält eine Erwin-Rommel-Statue in Heidenheim eine Fußnote
Von Pascal Palazzo
Ins bundesweite Gerede gerät das schwäbische Städtchen Heidenheim normalerweise selten, mit seinem unscheinbaren Zweitliga-Fußballverein und kaum 50.000 Einwohner*innen. Dass Heidenheim in den letzten Wochen nun aber doch in die Schlagzeilen rutschen konnte, liegt an der Debatte über einen zwei Meter hohen Klotz aus Muschelkalk auf einer Heidenheimer Wiese, zwischen Textil-Outlet, Waldfriedhof und der Kaufmännischen Schule. Gewidmet ist dieser Gedenkstein, ausgerechnet: Erwin Rommel. Dass der Generalfeldmarschall der Wehrmacht 1891 in Heidenheim geboren wurde, hat das Städtchen zu einer Wallfahrtsstätte gemacht, die den Umsatz lokaler Blumenhändler*innen in die Höhe treibt. Ziehen jetzt vor dem inneren Auge Bilder von Fackelmärschen diverser Kameradschaften auf, so muss man dieses Bild um eine Vielzahl Durchschnittsschwaben ergänzen, denn im Schwabenland gilt Rommel vielen eben nicht als der General, den Hitler seinen »Liebling« nannte und »Wüstenfuchs«, sondern als Widerstandskämpfer. Alles fügt sich so herrlich in die Legende der sauberen Wehrmacht: »Aufrecht/Ritterlich/Und Tapfer/Bis zu seinem Tode/Als Opfer der Gewaltherrschaft«, so ist es in erhabenen Lettern in den Heidenheimer Muschelkalkklotz eingelassen. Siehe: Opa war gar kein Nazi! Als vor einigen Jahren die Bürger*innen von Schwäbisch Gmünd befragt wurden, nach wem die Stadt einen geplanten Verkehrstunnel benennen solle, wählten mehr als 1.000 Menschen ihren Erwin Rommel auf Platz zwei (hinter Bud Spencer).
Ende Juli wurde nun in Heidenheim, begleitet von Aufregung und Aufsehen, ein Gegendenkmal zu Rommel enthüllt, entworfen durch den Künstler Rainer Jooß und hochoffiziell mit 40.000 Euro durch den Gemeinderat bezahlt. In der Vergangenheit hatte Bürgermeister Bernhard Ilg immer wieder Versuche der »Geschichtswerkstatt Heidenheim« abgewehrt, das Rommel-Denkmal demontieren zu lassen. Vor Jahren verhüllte die Geschichtswerkstatt es aus Protest: »Kein Denkmal mehr für den Nazi-General.« Die Reaktion: Da er ja kein Historiker sei, wollte Ilg sich »nicht zu einem Urteil erheben« – so geht deutsche Aufarbeitung. Dabei hätte man leicht schon bei Erbauung des Denkmals 1961 durch den Veteranenverband »Deutsches Afrika-Korps« (übrigens damals finanziell erheblich gefördert durch die baden-württembergische Landesregierung) ein Urteil fällen können: Für Hitler war Rommel einer der wichtigsten Militärstrategen in Nordafrika, in Italien ermöglichte er als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B den deutschen Vergeltungsterror. Zwar hatte Rommel Kenntnis von Umsturzplänen, weshalb sich seit Kriegsende die Dichtung hält, er wäre eigentlich ein Widerständler gewesen, doch als er 1944 im Krankenbett von Stauffenbergs Attentat erfuhr, schrieb er an seine Frau: »Zu meinem Unfall hat mich das Attentat auf den Führer besonders stark erschüttert. Man kann Gott danken, daß es so gut abgegangen ist.«
Das nun enthüllte Heidenheimer Gegendenkmal ist die zerbrechlich wirkende Skulptur eines Minenopfers auf Krücken, Rommels Klotz derart gegenübergestellt, dass sich bei entsprechendem Sonnenstand ein Schattenwurf auf dem Muschelkalk abzeichnet. Plakativ, aber deutlich. Rommels Afrikakorps legte damals zum Beispiel in der Gegend der ägyptischen Stadt El Alamein sogenannte Teufelsgärten an, hufeisenförmige Minenfelder. Bis heute werden Minen freigeweht und -gespült, seit den 1980er Jahren starben so allein in Ägypten über 3000 Menschen. Und während weltweit Statuen von Kolonialherren und anderen Verbrechern umgestürzt wurden, vertraut man in Deutschland bis heute auf das identitätsstiftende Potenzial des NS-Wüstenfuchses mit kleinen Additionen. In Heidenheim ist man recht beruhigt: Das Rommel-Denkmal darf bleiben und mit der Ergänzung können die Heidenheimer*innen irgendwie leben. Ihr Bürgermeister jedenfalls konnte nach eigener Aussage auch deshalb mit dem Gegendenkmal zu Rommel seinen Frieden machen, weil es »kreative Heimatliebe« zeige. Das Problem in Deutschland ist keineswegs nur eins der falschen Traditionspflege. Es ist ihre Gegenwart.