Gecancelte Polizeikritik
Mit der Sommerdebatte über angebliche Cancel Culture verstummt jene über echte Polizeigewalt
Von Nelli Tügel
Die durch falsche Vorwürfe ausgelöste Sommerdebatte um eine schlechte Kabarettistin (in Deutschland gibt es davon ja so einige), die derzeit das gesamte deutsche Feuilleton erregt, ist im Grunde todsterbenslangweilig. Interessant ist, was davor geschah. Wir erinnern uns: Vor wenigen Wochen noch bestand kurzzeitig die Chance auf eine breite öffentliche Thematisierung von und Diskussion um rassistische Polizeigewalt. Ausgelöst durch die Massenproteste in den USA nach dem Tod des Schwarzen Amerikaners George Floyd, schwappten Forderungen dieser Bewegung wie jene nach Definanzierung und sogar Abschaffung der Polizei auch nach Deutschland über. Von vielen Seiten, insbesondere von Aktivist*innen und Initiativen, die sich seit Jahren damit befassen, wurde darauf hingewiesen, dass rassistische Polizeigewalt keineswegs nur ein »amerikanisches« Thema ist, sondern auch in der Bundesrepublik ein massives Problem existiert, dass Racial Profiling, Gewalt und Tod in Polizeigewahrsam verbreitet sind.
Etwa zeitgleich begann die Polizei samt ihrer Gewerkschaften, in Berlin gegen das Landesantidiskrimierungsgesetz zu lobbyieren, das Opfern von Polizeirassismus eine rechtliche Handhabe gibt, um gegen solche Praxen vorgehen zu können.
Der Furor, mit dem jeder noch so zahmen oder verhaltenen Kritik an polizeilichem Handeln begegnet wurde, war beeindruckend und vielsagend: Die Polizei, das konnte deutlich erkennen, wer wollte, gilt hierzulande als heilig und unantastbar. Ehe man es sich versah, gewannen jene Stimmen die Überhand, die statt über Gewalt durch die Polizei über Gewalt gegen sie sprechen wollten. Auf den Punkt brachte diese Haltung der Ex-SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, als er nur zwei Wochen nach dokumentierter Polizeigewalt gegen Schwarze Jugendliche und junge PoC in Berlin und Hamburg am Rande von Black-Lives-Matter-Protesten schrieb: »Angesichts der zunehmenden Gewalt gegen unsere Polizisten: Wie wäre es mal mit einer Button-Aktion unter dem Motto: Wir sind Polizei? Ich wäre dabei.«
Wer Polizeikritik übt, soll mit Geschrei, Drohungen und allen möglichen anderen Spielarten der Delegitimierung mundtot gemacht werden.
Wie gerufen kam in diesen Tagen im Juni einigen die inzwischen legendäre satirische taz-Kolumne unter dem Titel »All cops are berufsunfähig«. Gegen die*den Verfasser*in gab es etliche Strafanzeigen, die Androhung einer Strafanzeige durch den Bundesinnenminister, unzählige Beschwerden beim Presserat, Online-Pranger von CSU und Polizeigewerkschaften, Todesdrohungen und vieles mehr.
Die Zeitung, die die Kolumne veröffentlicht hatte, distanzierte sich in einem historischen Akt der Feigheit von dem Text und nahm ihn zum Anlass, eine bis heute andauernde Schrift-Debatte im Blatt zu führen, die mit dazu beitrug, dass aus der laut werdenden Polizeikritik des Frühsommers ein Neuaufguss der nur noch ermüdenden Identitätspolitik-Debatte werden konnte, von der – das ließ sich schnell erahnen – nicht Linke, sondern Konservative und Rechte profitieren würden. Dass es genau so passiert ist, beweist der nunmehr vierte Akt des Dramas: die eingangs erwähnte aufgeregte, dabei aber anlasslose Diskussion um eine Kabarettistin, die wegen ausgedachter Bedrohungen »von links« von einer Veranstaltung ausgeladen und blitzschnell zum Opfer angeblicher Zensur sowie zur neuen Ikone der Meinungsfreiheit hochstilisiert wurde. Damit haben jene, die es ablehnen, über Rassismus und die Polizei zu sprechen, das, was sie wollten. Und Linke haben: wieder mal nichts gewonnen.
Der Witz dabei ist: Ja, es gibt ein Problem mit Cancel Culture in Deutschland. Denn, das ist die Lehre dieser Geschichte, wer Polizeikritik übt, soll mit Geschrei, Drohungen und allen möglichen anderen Spielarten der Delegitimierung mundtot gemacht werden. Dass ausgerechnet mithilfe einer künstlich aufgeblasenen Cancel-Culture-Debatte über eine Kabarettistin, die niemals real Bedrohungen ausgesetzt war, es letztlich gelungen ist, die kurz aufgekeimte Polizeidebatte endgültig zu ersticken, ist ihre bizarre wie bittere Pointe.