Auf Reisen mit dem Papierflieger
Über sichtbare und unsichtbare Veränderungen bei ak und über eine Zeitung mit Gebrauchswert für Linke
Von ak-Redaktion
Wollte man eine aktuelle In- und Out-Liste der Gefühlslage politisch Interessierter aufstellen, stünden vermutlich in der »In«-Spalte: Facebook-Proteste, direkte Demokratie, umfassende Transparenz und freie Kommunikation, die Occupy-Bewegung und die Piratenpartei. In der Out-Liste fänden sich: alle übrigen Parteien und die meisten politischen Institutionen, parlamentarische Politik im Allgemeinen, Informationsmonopole und Geheimniskrämerei, Ideologien und Grundsatzprogramme, Abzeichen und feste Mitgliedschaften.
Wie kommen diese erstaunlichen Paarungen (klassische »Netzthemen« und direkte Aktion, eine umfassende Politisierung bei gleichzeitiger Ablehnung aller traditionellen politischen Formen und Ideen etc.) zustande? Felix Stalder hat in ak 565 die These formuliert, dass im Schatten der alltäglichen Internetnutzung ein neues Programm der politischen Teilhabe entstanden sei. Hierbei spielten Erfahrungen eine Rolle, die viele Menschen seit Jahren in ihrem Arbeitsleben und Alltag machen. Dort müssen sie andauernd selbstständig organisieren, sich informieren, kommunizieren und gestalten; auch privat gehört die kontinuierliche Pflege kommunikativer Kontakte zum täglichen Tun – Facebook, Twitter, Google+ lassen grüßen. Vor diesem Hintergrund wachse der Bedarf, auch an politischen Prozessen teilzuhaben.
Die These hat Charme. Sie wirft aber auch eine Frage auf: Wenn viele Menschen einen täglichen, selbstbestimmten Umgang mit Informationen pflegen und in den vielfältigen Öffentlichkeiten beinah ununterbrochen kommunizieren – wozu brauchen sie dann noch eine linke Zeitung?
Andererseits: Schafft die Explosion der Informationsmöglichkeiten, die enorm beschleunigte Zirkulation dieser Informationen und der Zwang zur pausenlosen Plauderei tatsächlich ein mündiges, selbstbestimmtes Informationssubjekt? Oder beflügelt dies bloß das Herdenverhalten – man liest und redet drüber, weil alle drüber reden? Damit Informationen im verschärften Kampf um Aufmerksamkeit bestehen, werden sie immer schriller verpackt. Die Wirkung gewinnt an Bedeutung, der Inhalt verliert. Und wer hat eigentlich noch Zeit, sich mit den zirkulierenden Inhalten wirklich auseinanderzusetzen? Oder anders gefragt: Wer liest noch eine linke Monatszeitung?
Wenn viele Menschen selbstbestimmt mit Informationen umgehen und in unzähligen Öffentlichkeiten ununterbrochen kommunizieren – wozu brauchen sie dann noch eine linke Zeitung?
Zwischen diesen beiden Polen bewegen sich die Einschätzungen darüber, wie sich die neuen Formen des Internets auf den Umgang mit Informationen und die Nutzung von Medien auswirken.
Während es noch relativ einfach zu erklären ist, warum es einer emanzipatorischen, antikapitalistischen und herrschaftskritischen Perspektive auf die Gesellschaft bedarf, ist die Frage schon schwerer zu beantworten, warum es ausgerechnet die Papierform sein muss. Das Internet bietet ungeheure Möglichkeiten, sich zu informieren und Debatten zu führen. Das geht zielgenau, d.h. zum Thema des Interesses und zu jedem Zeitpunkt, an dem das Bedürfnis aufkommt, dieses oder jenes zu erfahren.
Richtig ist, dass es kaum noch eine Zeitung mit dem Zweck geben muss, unterdrückte Nachrichten publik zu machen – ein wichtiger Aspekt der Gegeninformation im Sinne der 1970er und 1980er Jahre. Damit verändert sich aber auch der Begriff der Gegenöffentlichkeit. Die Möglichkeit, Informationen zu erhalten, wird häufig mit Aufklärung und Analyse oder gar mit Einflussnahme und Politik verwechselt. Und hier wird das Papier und vor allem redaktionelle Arbeit weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Der begrenzte Platz auf Papier zwingt dazu, Themen zu gewichten, guten Argumenten Raum zu geben und heiße Luft aus Texten abzulassen. Auch das ist ein Moment von Gegenöffentlichkeit. Die redaktionelle Arbeit, d.h. eine kollektive Verständigung über wichtige Themen und Fragen, ist bereits eine politische Selbstverständigung. Damit wären wir bei einem zweiten Punkt.
Was unterscheidet ak von einem Vereinsheft?
Die aktuellen Occupy-Demokratie-Bewegungen oder auch der Wahlerfolg der Piraten zeigen, dass auch die altbekannten linken politischen Formen wenig attraktiv zu sein scheinen. Das mag mit der zeitweiligen Hegemonie konservativ-rechter Geschichtsdeutungen zu tun haben (»Die Geschichte hat gezeigt, dass Kommunismus nicht funktioniert«). Ganz sicher liegt es aber auch an den Erfahrungen, die es mit linker Politik gibt. Obwohl diese Bewegungen von einem »irgendwie linken« Grundgefühl getragen sind, lehnen die in ihnen Aktiven mehrheitlich politische Einflussversuche linker Gruppen und Parteien ab. Mit der Vereins- und Mitgliedsmentalität können sie nichts anfangen.
Die meisten Menschen sind nur dann bereit, einem Verein im weiteren Sinne beizutreten, wenn es materiell etwas bringt (Mieterverein, ADAC … ). Wird »Politik gemacht«, entsteht Misstrauen. Solche Organisationen bestünden größtenteils zum Zweck des Selbst- und Machterhalts, sie seien aufgeblähte Verwaltungsapparate, bei denen Mitsprache darauf reduziert wird, dass man einmal im Jahr zu einer Vollversammlung oder einem Parteitag latschen darf. Den Blick für die wirklichen Probleme hätten sie längst verloren.
Viele linke Zeitungen funktionieren jedoch genau wie ein Vereinsblatt begrenzter Milieus, für die sie berichten – das gilt sicher häufig auch für ak. Oder sie bieten Distinktionsgewinn, indem sie vorzugsweise negativ-abgrenzende Positionen einnehmen: Sie erklären, wie blöd alle anderen sind – und schaffen auf diese Weise Identität.
Wir wollen, dass man ak lesen kann, ohne dass man erst Mitglied eines wie auch immer gearteten Vereins sein muss. Auch die permanente Abgrenzung interessiert uns nicht besonders. Für uns ist ak ein Beitrag zur gesellschaftsverändernden Praxis. Dazu weiter unten mehr.
Was unterscheidet ak von anderen Zeitungen?
Das bedeutet: ak soll eine nicht-sektiererische Zeitung sein, die sich den (linken) sozialen Bewegungen verbunden fühlt. Sie ist nicht einfach Zeitung aus der Bewegung, sondern auch eine über die Bewegungen. Antifas können sich über die Anti-AKW-Bewegung informieren und umgekehrt. Der nicht-sektiererische Anspruch bedeutet auch, dass wir die Debatte einer bestimmten Strömung abbilden und, wie es Karl Heinz Roth in ak 397 (zu unserem 25-Jahre-Jubiläum) formulierte, die Bereitschaft zeigen, »gelassen und zugleich skeptisch zuzusehen, pro und contra abzuwägen, vor allem aber: offen zu sein und niemand vorschnell aus dem Dialog auszuschließen.«
Bleibt die Frage: Wer kommuniziert eigentlich über was? Wie sind die Zugangsbedingungen zu diesem Dialog? Wer kann Themen festsetzen? Die Aufgabe der Redaktion besteht darin, sensibel für die Themen, Fragen und Schwachstellen der Bewegungen zu sein und auch solche Positionen in die Zeitung zu holen, die keine machtvollen FürsprecherInnen haben.
Zeitreise ak
Man sollte sich vom neuen Layout nicht blenden lassen. Die jetzt sichtbare Veränderung von ak ist nicht der eigentliche Umbruch. Der beginnt früher. In ak 562 schrieben wir: »Vor gut zwei Jahren haben wir begonnen, über Gegenwart und Zukunft des Projekts ak zu diskutieren. Ausgangspunkt war ein Widerspruch: zwischen den Bedingungen, unter denen ak produziert wurde (und wird), und denen, unter denen es ak in Zukunft geben könnte. (…) Viele, die heute an der technischen Erstellung von ak mitwirken, sind im politischen Ruhestand. Und viele, die heute für ak schreiben (oder die Redaktionsarbeit machen), sind nicht nur mit anderen politischen Themen und Debatten, anderen Lese-, Denk- und Arbeitsweisen groß geworden, sondern stecken bis zum Hals in einem immer prekäreren Alltag.«
Mit dieser Ausgabe finden Veränderungen, die wir seit Jahren diskutiert haben, jetzt einen sichtbaren Ausdruck. Veränderungen, die auf ein allgemeines Problem von Zeitungen verweisen, die aus der Neuen Linken hervorgegangen sind – das deuten zumindest die Debatten an, die auch andere linke Zeitungen wie express oder SoZ führen. Wie sie haben wir uns die Frage gestellt: Was müssen wir tun, damit die Zeitung auch ohne die Gründergeneration existieren kann? Und was für eine Zeitung wäre das – oder sollte es sein?
Die erste Ausgabe des Arbeiterkampf erschien 1971. Mit der Auflösung des Kommunistischen Bundes (KB) 1991, zu dem (der) AK gehörte, und der Entscheidung, die Zeitung weiter herauszugeben, wurde implizit auch beschlossen, dass ak mehr ist als ein Teil eines gescheiterten Organisationsansatzes: ein Projekt, dem eine eigenständige politische Bedeutung zukommt. Angesichts der politischen Großwetterlage Anfang der 1990er Jahre gab es allerdings nur eine Option: überwintern. Diese Zeit war wenig erquicklich: deutsche »Wiedervereinigung«, Abschaffung des Asylrechts, Nazipogrome und innerlinke Auseinandersetzungen über die deutschen Zustände. Keine zehn Jahre später veränderte sich die politische Konstellation. Mit den Gipfelprotesten in Seattle (1999) und Genua (2001) kam wieder Bewegung in eine Welt, deren Geschichte noch wenige Jahre zuvor für beendet erklärt worden war. Aber auch in den Redaktionsräumen änderte sich etwas. Neue RedakteurInnen verstärkten die Zeitung. Zu dieser Zeit wurde auch das Magazin Fantômas gegründet, dessen erste Ausgabe 2002 »Zu rebellieren und zu denken wagen« die neue Aufbruchstimmung markierte. Nicht dass es pausenlos bergauf gegangen wäre – aber zumindest das Gefühl des Stillstands war vorbei.
Nun sind wir ZeugInnen eines weiteren Umbruchs. Nicht nur entfaltet die Krise der Weltwirtschaft ihre ganze zerstörerische Kraft; ausgehend von den arabischen Revolutionen geht auch eine neue Welle des Protests um die Welt. Wir wünschen uns, dass die neue ak für all jene ein brauchbares Werkzeug wird, die noch, wieder oder gerade neu über die Möglichkeit gesellschaftlicher Emanzipation nachdenken.
Der Schriftsteller Dietmar Dath stellte in einem Interview fest, dass man im gegenwärtigen Kapitalismus fast alles sagen oder denken, aber nichts tun dürfe. Was bedeutet diese Diagnose für eine Zeitung, die sich nicht allein der linken Debatte, sondern auch der Praxis verpflichtet fühlt?
Zeitungen haben nach wie vor die Aufgabe zu informieren. Sie sollen aber auch dabei helfen, sich eine Meinung zu bilden. Ohne eine »Meinung« funktioniert (der Selbstbeschreibung nach) keine bürgerliche Demokratie. Nach dieser Vorstellung sollen sich aufgeklärte Menschen politisch darüber streiten können, wie die Gesellschaft zu gestalten ist. Dabei sind die »Grundlagen des Gemeinwesens« schon vorausgesetzt; es sind die Interessen der »Bourgeoisie«, die hier verhandelt werden. Es geht also nicht generell um die Frage, wie die Gesellschaft aussehen könnte (ab und zu vielleicht im Feuilleton), sondern darum, wie die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft am besten aussehen soll.
Was unterscheidet die alte ak von der neuen?
Die bürgerliche Presse arbeitet sich an der Gesellschaft entlang der Unterscheidung Politik (Argumente, politische Programme), Wirtschaft (Sachzwänge) und Kultur (schöne Ideen, ungezwungene Selbstverständigung) ab. Politik ist meist nach In- und Ausland unterteilt, in linkeren Zeitungen wird auch mal der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit in der Wirtschaft benannt.
Als herrschaftskritische Zeitung wollen wir mit dieser Ordnung brechen. Unsere Zeitung hat einen bestimmten Zweck: Sie soll diejenigen Bewegungen unterstützen und Teil der Bewegung sein, die die Verhältnisse zum Tanzen bringen, sie soll einen Gebrauchswert für politisch aktive Linke haben. Dieser Anspruch soll sich auch in unserer Buchaufteilung niederschlagen (Bücher sind die vier separaten Teile der Zeitung):
ak soll die Bewegungen unterstützen und Teil der Bewegung sein, die die Verhältnisse zum Tanzen bringen, ak soll einen Gebrauchswert für politisch aktive Linke haben.
Im Buch »Politik« geht es wesentlich um die Herrschaftsarchitektur der Gesellschaft (Politik, Ökonomie) sowie die Strategien und Projekte der AkteurInnen und ArchitektInnen – um die Politik »von oben«. ak soll helfen, Zusammenhänge zu verstehen, herrschende Einschätzungen und Sichtweisen dekonstruieren, eine kritische Analyse aktueller politischer Entwicklungen ermöglichen.
Im Gegensatz zur »Politik von oben« werden im Buch »Bewegung« die Kampagnen, Strategien und Organisierungsversuche »von unten« dargestellt und diskutiert. Es geht zunächst darum, wer wo was macht. Das Buch sollte AkteurInnen und Initiativen aus den sozialen Bewegungen und der Linken vorstellen und zugleich das politische Feld der Linken umreißen: in den aktuellen Demokratisierungsbewegungen, der internationalen Solidarität, in der Antifa, der Anti-Atom-Bewegung, in feministischen Kämpfen, in Arbeitswelt und Alltag. Gleichzeitig ist das Buch »Bewegung« der Ort solidarischer Kritik. ak berichtet unabhängig, aber nicht unparteiisch. Daneben will ak aber auch eine Plattform für selbstkritische Diskussion und ein Debattenblatt der Bewegungen sein.
Beständige Revolutionierung der Produktionsweise (von ak)
Das Buch »Gesellschaft« soll nicht darin aufgehen, was sonst Kultur oder Feuilleton ist. Wir verstehen im Anschluss an den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci unter Kultur eines der zentralen Felder, auf dem um Hegemonie gerungen wird. Hier geht es um Deutungshoheit und Legitimation, um Sichtweisen und Interessen, darum, dass und ob Themen überhaupt als politische anerkannt und als solche verhandelt werden. Überdies sind Kunst und Kulturproduktion Experimentierfelder für neue Blicke auf gesellschaftliche Zusammenhänge; sie spielen mit Ideen, Identitäten und politischen Utopien und verschieben die Grenzen des Denk- und Sagbaren. Im Gegensatz zu anderen Büchern von ak sollen hier die »verborgenen Mechanismen der Macht« und Strategien von Gegenmacht im Mittelpunkt stehen, die Frage, wie in Alltagskultur, Geschichtspolitik, Kulturproduktion die Gesellschaft als Gestaltungs- und Deutungsmasse verhandelt wird.
Apropos »verborgene Mechanismen der Macht«: Nichts ist politischer als der Alltag. Im Alltag wird Plausibilität dafür hergestellt, warum alles so ist wie es ist. Herrschaft und Politik verbinden sich mit Banalität und bilden zugleich den Maßstab dafür, was als richtig und falsch gilt. Insofern geht es uns im Buch »Gesellschaft« auch darum, an unserem Verständnis künstlerischer Auseinandersetzung und alltäglicher Handlungen zu arbeiten.
Und warum das alles? »Hinter allem steckt die Absicht, den politischen Gebrauchswert von ak zu steigern.« So haben wir es in ak 562 beschrieben. Unsere Arbeit verstehen wir als speziellen Beitrag zur Formierung einer außerparlamentarischen Linken in der Bundesrepublik. Mit der aktuellen Ausgabe haben wir die Produktion, die Arbeitsweise und das Äußere den sich verändernden Bedingungen angepasst. Wir hoffen, zum Besseren. Vieles ist noch in Bewegung – innerhalb der Zeitung, in der Redaktion, ihrem Umfeld und ihrem politischen Bezugsrahmen. Damit das Beste daraus wird, sind wir auf euch angewiesen. ak kann nur so gut sein, wie die politischen und sozialen Kräfte, die sich die Zeitung zu eigen machen.