»This is not justice, this is shit«
Das Urteil im G20-Elbchausse-Prozess ist gefallen: Gemessen am Plädoyer der Staatsanwaltschaft ein guter Tag – gemessen an den Tatvorwürfen ein schlechter
Von Carina Book
Selten hat sich die oft dahingesagte Parole »Gemeint sind wir alle« so real angefühlt wie bei der heutigen Urteilsverkündung im Elbchaussee-Prozess am Hamburger Landgericht. Drei Jahre nach den G20-Protesten wertete das Gericht die reine Anwesenheit der Angeklagten beim militanten Demonstrationszug am 7. Juli 2017 in der Elbchaussee als »psychische Beihilfe« und sprach die Angeklagten des schweren Landfriedensbruchs schuldig. Dabei wurde vier von fünf angeklagten G20-Gegnern keine eigenhändige Straftat vorgeworfen, einem fünften zwei Stein- und zwei Flaschenwürfe, bei denen niemand zu Schaden gekommen war. Der französische Aktivist Loïc erhielt eine Haftstrafe von drei Jahren. Zwei Angeklagte aus Hessen bekamen ein Jahr und fünf Monate beziehungsweise ein Jahr und drei Monate auf Bewährung. Zwei weitere, zum Zeitpunkt des G20-Gipfels 2017 noch 16 und 17 Jahre alte Aktivisten wurden mit einer Strafe von 20 Arbeitsleistungen à sechs Stunden belegt. Verglichen mit den von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafen ein milderes Urteil als befürchtet. Dennoch folgte die Richterin der Argumentation, dass es sich bei dem Aufzug in der Elbchaussee nicht um eine erlaubte Demonstration gehandelt habe, weswegen alle Teilnehmenden sich des schweren Landfriedensbruches schuldig gemacht hätten – allerdings nicht so wie von der Staatsanwaltstaft behauptet.
Viel Kritik an der Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwaltschaft war mit dem sogenannten Hooligan-Urteil im Gepäck gegen die fünf Aktivisten zu Felde gezogen. Nach dem Motto »Mitgegangen, mitgefangen« berief sie sich auf ein Urteil des BGH gegen eine Hooligan-Gruppe. Dabei hatte der BGH selbst ausgeschlossen, dass der Vorwurf des »ostentativen Mitmarschierens« auch für Demonstrationen angewendet werden könne. Die Erklärung des BGH im Hooligan-Urteil hatte gelautet: »Alle Teilnehmer der Menschenmenge verfolgten einzig das Ziel, geschlossen Gewalttätigkeiten zu begehen. Dadurch unterscheidet sich dieser Fall der Dritt-Ort-Auseinandersetzung gewalttätiger Fußballfans von Fällen des Demonstrationsstrafrechts, bei denen aus einer Ansammlung einer Vielzahl von Menschen heraus Gewalttätigkeiten begangen werden, aber nicht alle Personen Gewalt anwenden oder dies unterstützen wollen.« Richterin Anne Meier-Göring rügte die Staatsanwaltschaft für diese Konstruktion im Elbchaussee-Verfahren. Außerdem seien seitens der Staatsanwaltschaft »Fake News« verbreitet und politische Stimmungsmache betrieben worden. Bis zum Schluss seien Staatsanwaltschaft und die Soko Schwarzer Block nicht über Arbeitshypothesen hinausgekommen und hätten in den vorgelegten zehn Umzugskartons mit Ermittlungsakten wenig zur Klärung des Falls beigetragen. Im Gegenteil sei das Gericht davon überzeugt, dass die Erzählung über eine »paramilitärische Planung« der Geschehnisse in der Elbchaussee eine Mär sei. »Es stimmt einfach nicht, was Sie sagten Herr Staatsanwalt. Das sind Fake-News! Auch wenn ich Trump ungern zitiere«, sagte Richterin Meier-Göring nach der Urteilsverkündung vor Gericht.
Galoppsprünge und die harte Hamburger Linie
Und dennoch reiht sich das Urteil ein in die harte Hamburger Linie im Umgang mit den Gipfelprotesten und deren juristische Nachbearbeitung. »Die Urteile im Elbchaussee-Prozess sind politisch, auch wenn die Richterin sich von den versuchten Vorstößen von Staatsanwaltschaft und Soko Schwarzer Block distanziert, denn die massive Polizeigewalt und Grundrechtsverstöße gegen Protestierende während der Gipfeltage bleiben im Urteil außen vor. Die Absage an das ›Hooligan-Urteil‹ ist zu begrüßen, doch bietet der Landfriedensbruch mit der formulierten ›Beihilfe‹ der Angeklagten ja schon genug problematischen Spielraum, etwa das Ziehen einer Mülltonne oder einen Böllerwurf als ›psychologische Unterstützung‹ zu bestrafen«, kommentiert Britta Rabe vom Grundrechtekomitee den Richterinnenspruch. Auch bei der Würdigung der Beweisaufnahme kam es zu Irritationen. Die Richterin argumentierte, Loïc sei auf Videoaufnahmen durch seine für ihn typischen »Galoppsprünge« identifizierbar. Auch sie habe sich lange gefragt, ob man sich wirklich sicher sein könne, doch diese »Galoppsprünge« könnten zweifellos nur von Loïc sein. Britta Rabe vom Grundrechtekomitee kritisiert die Beweisaufnahme: »Die während des Prozesses zutage geförderten Vorkommnisse wie die Manipulation von Zeugenaussagen durch die Anklage oder die Intervention der Polizei beim Einsatz der Feuerwehr in der Elbchaussee sind keine ideologisch zu disqualifizierenden Forderungen einer Verteidigung, sondern sollten zentrales gesellschaftliches Aufklärungsinteresse der Gipfeltage sein. Das Urteil und seine Begründung ist insgesamt nicht als gemäßigt zu bewerten, sondern ergänzt die Hamburger Linie gegen Protestierende gegen den G20.«
Warme Solidarität im kaltnassen Hamburger Sommer
Draußen vor dem Gericht harrten am Freitag indes etwa 200 Menschen im Regen bei der Solidaritätskundgebung aus und warteten darauf, die verurteilten Aktivisten in Empfang nehmen zu können. Nach Ende der Urteilsverkündung wurden diese mit einem warmen Applaus und Solidaritäts-Plakaten begrüßt. Loïc, der als einziger der fünf Angeklagten nach Rechtskräftigkeit des Urteils erneut eine Haftstrafe antreten muss, trat an das Megafon und bedankte sich für die Solidarität. Ob es für ihn und die Mitangeklagten bei dem heutigen Urteil bleibt, hängt davon ab, ob Revision eingelegt wird. Für Loïc aber ist klar: »What happened today is no justice, this is shit!« Im Anschluss an die Urteilsverkündung setzte die Solidaritätskundgebung mit einer Demonstration den Protest gegen die Hamburger Justiz und die irrwitzigen Urteile gegen die G20-Gegner*innen fort. Auch für Freitagabend waren Proteste auf der Elbchaussee gegen Repression angekündigt.