»Weil ihr uns die Rente klaut«
Rechte versuchen, das Thema Altersarmut zu besetzen. Von links kommt wenig
Von Anne Seeck
Am Freitag, den 24. Januar, organisierte die Bewegung »Fridays gegen Altersarmut« bundesweit 200 Mahnwachen, die von rechts dominiert und schwach besucht waren. Dass Rechte soziale Themen besetzen, ist fatal. Denn der wichtige Kampf gegen Altersarmut ist in der Linken marginal.
Vor kurzem traf ich einen ehemaligen Erwerbslosenaktivisten, der 1998 bei den Erwerbslosenprotesten und später bei den Protesten gegen die Einführung von Hartz IV dabei war. Ich hatte ihn lange nicht gesehen. Er schien resigniert zu sein, ist jetzt Rentner und sammelt Flaschen. Einen anderen Aktivisten sah ich in einem Sozialausschuss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Berlin-Neukölln, der in einem Obdachlosenheim tagte. Früher war er bei der Arbeitslosenpartei, dann bei der Linkspartei, jetzt engagiert er sich bei der AfD.
Auch die AfD unterstützt »Fridays gegen Altersarmut«
Eine ähnliche Geschichte, die einer individuellen politischen Entwicklung »von links nach rechts«, lässt sich offensichtlich beim Mahnwacheninitiator Heinz Madsen erkennen. Er hatte als Parteimitglied Zoff mit der Partei Die Linke in Greiz/ Thüringen. Er war auch Anti-Hartz-IV-Aktivist, so bei den Montagsdemos ab 2004 gegen die damaligen »Arbeitsmarktreformen«. Madsen präsentiert sich mit einem Thor-Hammer um den Hals und wird von Kritiker*innen als betrügerische Person dargestellt. Vier Facebook-Gruppen sind aktuell unter dem Label »Fridays gegen Altersarmut« aktiv. Die größte von ihnen wurde von Madsen Ende September 2019 gegründet und hat mittlerweile etwa 300.000 Mitglieder. Mit Madsen als Frontmann wurde dabei kräftig manipuliert und ganze »Freundesgruppen« der Fridays-Gruppe zugeschlagen. Logos von Facebook-Gruppen zeigen Rentner*innen, die Flaschen sammeln oder in einen Mülleimer greifen. Die Medien berichteten, dass nicht alle Anhänger*innen von »Fridays gegen Altersarmut« rechts eingestellt seien. Nur wenige Anmelder*innen der Mahnwachen hatten sich allerdings vom Rechtsextremismus distanziert, 30 Mahnwachen wurden bundesweit aus »diversen« Gründen abgesagt. Letztlich blieb die Teilnehmerzahl der Mahnwachen äußerst gering. Der AfD-Parteivorsitzende Jörg Meuthen hatte noch im Vorfeld der Aktionen über die Bewegung gejubelt: »Endlich, die Alten stehen auf!«
Jürgen Elsässer, Herausgeber des rechten Magazins Compact, hatte bereits im Herbst 2018 der AfD geraten, das Thema Altersarmut zu besetzen. Sieben Jahre nach ihrer Gründung hat die Partei jedoch noch immer kein Rentenkonzept. Denn es stehen sich widersprüchliche Entwürfe gegenüber, die sich als wirtschaftsliberal, national oder völkisch kennzeichnen lassen. Björn Höcke von der Thüringer Fraktion will steuerfinanzierte Zuschläge nur für deutsche Staatsbürger einführen. Jörg Meuthens Plan ist, die gesetzliche Rente, die durch Beiträge von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen finanziert wird, abzuschaffen und durch eine steuerfinanzierte Mindestrente zu ersetzen, die knapp über dem Existenzminimum liegt. Der Höcke-»Flügel« wirft Meuthen daher »parteischädigendes Verhalten« vor. Der Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier plädiert für eine »Volksrente« nach Schweizer Vorbild. Auch er trennt zwischen zu privilegierenden Deutschen und »Ausländern«. Der Brandenburger Abgeordnete Norbert Kleinwächter setzt sich für die Förderung Kinderreicher ein, Kinderlose sollen fast nichts bekommen. Auf dem AfD-Parteitag zum Thema Soziales und Rente, der eventuell Ende April 2020 stattfinden soll, wird es turbulent zugehen. Denn die Partei ist in der Sozial- und Rentenpolitik tief gespalten – zwischen national-sozialem Osten und marktliberalem Westen.
Eine Mahnwache in Berlin-Neukölln
In Berlin hatte auch die faschistische Splitterpartei Die Rechte dazu aufgerufen, an den Mahnwachen teilzunehmen. Am 24. Januar ging ich zur Mahnwache am Hermannplatz in Berlin-Neukölln, um mir das Ganze anzuschauen. Fünf Männer und eine Frau hatten vor Karstadt einen Stand mit Suppe, Kuchen und Getränken aufgebaut. Genau dort, wo gegenwärtig einmal pro Woche mit einem Infostand gegen Pläne eines Abrisses des Karstadt-Gebäudes und eines riesigen Betonneubaus protestiert wird. Neben von Linken geklauten Sprüchen wie »Wir sind hier und wieder laut, weil ihr uns die Rente klaut« war auch folgende Parole zu sehen: »Es ist kein Egoismus, dem eigenen Volk zu helfen!« Zuerst hing der Slogan offen sichtbar am Stand der Organisator*innen, zehn Minuten später war er nur noch weitgehend versteckt und kaum noch wahrnehmbar zu finden. Mit einem Angebot von Essen und Getränken versuchten die »Fridays gegen Altersarmut« ins Gespräch mit Vorbeigehenden zu kommen. Leider beobachteten nur wenige Linke die Szenerie.
Gut so, kann man meinen, dass die Mahnwachen so spärlich besucht waren und sich kaum Menschen von rechts instrumentalisieren lassen. Sozialverbände und Gewerkschaften haben sich von den »Fridays gegen Altersarmut« distanziert und vor rechten Einflüssen auf die Bewegung gewarnt. Aber was tun sie, außer Papiere zum Thema zu produzieren? Ein von ihnen initiierter oder mitgetragener hartnäckiger und kontinuierlicher Protest auf der Straße fehlt und einmalige Events, wie ihn die Demo des Sozialverbandes VdK unter dem Motto »Soziales Klima retten!« am 28. März in München darstellt, reichen bei weitem nicht.
Ich bin in einer Gruppe von Rentner*innen mit geringem Einkommen bei ver.di Berlin organisiert. Wir dümpeln mit wenigen Leuten vor uns hin, produzieren auch Papiere und haben eine Veranstaltung durchgeführt. Eine Unterstützung durch den Gewerkschaftsapparat und selbst den Seniorenausschuss ist kaum gegeben. Wir können zwar die Infrastruktur der Gewerkschaft nutzen und die Gewerkschaft verfügt über Rentenexpert*innen, aber die Basis fehlt, die sich zum Thema Altersarmut organisieren und den Protest auf die Straße tragen könnte. Die Gewerkschaften und Sozialverbände leisten zwar wichtige Beratungsarbeit für ihre Mitglieder, aber Widerständigkeit entwickelt sich daraus nicht. Scham, Ängste und Vereinzelung behindern die meisten Armutsbetroffenen, etwas gegen diesen Zustand zu tun. Manchmal ist es aber gerade die eigene Betroffenheit, die einem sagt: »Jetzt reicht`s!«
Protest am Sozialamt
Wir, zwei Grundsicherungsbezieher*innen und Aktivist*innen, hatten die Schnauze voll von den miesen Zuständen am Sozialamt Neukölln. Im Herbst letzten Jahres wurde das Amt aus dem Rathaus in ein anderes Gebäude outgesourct. Die Menschen müssen jetzt draußen in Schlangen stehen – bei Regen und Kälte. Sie stehen aus unterschiedlichen Gründen da: Ältere, kranke Menschen und Menschen mit Behinderung, die Grundsicherung wegen Erwerbsminderung und im Alter erhalten, also aufstockend zur geringen Rente. Daneben finden sich dort wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen ein. Sie wollen zur sozialen Wohnhilfe. Zudem stehen Menschen in der Schlange, die Anträge auf Basis des Asylbewerberleistungsgesetzes stellen wollen. Sie alle müssen sich von der Security abscannen und eine Taschenkontrolle über sich ergehen lassen, um in das Gebäude gelangen zu können. 2016 gab es eine Messerattacke auf einen Mitarbeiter der Behörde – jetzt werden alle »Kunden« unter Generalverdacht gestellt.
Wir gingen in den Sozialausschuss und zum Sozialstadtrat. Mit der Solidarischen Aktion Neukölln machten wir einen Infostand vorm Sozialamt, wo wir Flugblätter und Tee verteilten. Die Resonanz der Betroffenen war sehr gut, sogar Mitarbeiter*innen, die die Situation unerträglich fanden, solidarisierten sich mit uns. Vor allem unser Flyer traf den Nerv. Anwohner*innen und Betroffene beschwerten sich beim Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB), der einen Bericht über das Sozialamt sendete. Zuvor war ein Artikel in der kostenlosen Berliner Woche über eine Vertreterin der Linkspartei veröffentlicht worden: »Frau X. kämpft«. Wir beide hatten nämlich auch Unterstützung bei der Linkspartei gesucht und halfen bei einer Großen Anfrage in der BVV. Wir werden weiterhin beim Sozialamt präsent sein und auch die Politik und Verwaltung nerven, weil wir diese Zustände unerträglich finden.
Basisarbeit und Alltagswiderstand
Manchmal ist es einfach Basisarbeit, die man vor Ort leisten muss. Wie es zum Beispiel die Mietenbewegung tut. Daraus kann sich Alltagswiderstand entwickeln, der seine Wut auf der Straße entlädt. Die außerparlamentarische Linke hat seit vielen Jahren die soziale Frage, so auch die Themen Altersarmut und soziale Ungleichheit, weitestgehend den Sozialverbänden, Gewerkschaften und der Linkspartei überlassen, womit auch der Protest von der Straße ins Parlament gelenkt und damit befriedet wurde. Teilen der akademischen Linken fällt nichts anderes ein, als über die Identitätspolitik zu schimpfen oder im besten Fall in Texten eine neue Klassenpolitik zu fordern. Diese würde aber Graswurzelarbeit vor Ort, da wo die Menschen leben, voraussetzen. Der Vorteil der Rechten: Sie arbeiten und wohnen oftmals mit jenen zusammen, die sie »bekehren« wollen. In der proletarisierten DDR hatte die Subkultur »auf Arbeit« und in den Kneipen auch mit den sogenannten »einfachen« Leuten zu tun gehabt. Heute sperren wir uns in Berlin in unserem »linken Ghetto« mit den Szenecodes selbst ein und sind kaum noch in der Lage, mit Menschen, die eine andere Meinung haben, zu diskutieren. Das Thema Altersarmut ist zu wichtig, um es Rechten zu überlassen. Ich erlebe mittlerweile zu viele verarmte und psychisch belastete Menschen, die auf Solidarität – außerhalb der Armutsindustrie – hoffen, denn Armut ist grausam. Es geht nicht um mehr Sozialarbeit, sondern darum, widerständiges Verhalten zu zeigen: Wie zum Beispiel in Frankreich – wo Tausende von Menschen gegen die »Rentenreform« der Regierung Macron protestieren.