Editorial
Von ak-Redaktion
Ist die Brandmauer schon eingestürzt? Dass wir 2024 in einem oder mehreren ostdeutschen Bundesländern eine schwarz-braune Koalition erleben müssen, ist leider kein unmögliches Szenario mehr. Im Herbst dieses Jahres sind Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen – und es sieht nicht gut aus: In aktuellen Umfragen liegt die AfD in diesen Bundesländern zwischen 25 und 35 Prozent. In Thüringen probte die CDU mit Anträgen zur Grunderwerbssteuer und gegen gendergerechte Sprache bereits, wie sich regieren mit der AfD anfühlt. Bisher scheint es ihr zu gefallen.
Gleichzeitig melden Opferberatungsstellen aus elf von 16 Bundesländern insgesamt 2.589 rechte, rassistische und antisemitische Angriffe im Jahr 2023. Rassismus bleibt – wie in den Vorjahren – das häufigste Tatmotiv; die Anzahl rassistischer Angriffe ist dabei erneut um 33 Prozent gestiegen. Die Angriffe richten sich insbesondere gegen Menschen mit Flucht- und Migrationsbiografien sowie gegen Schwarze Menschen. Auch antisemitische, queer- und transfeindliche Attacken haben stark zugenommen.
Und während aus der »Mitte« die Brandmauern gegen rechts beschworen werden, sind diese bröckelig wie Sandstein an der Küste Sylts: ein bisschen CDU-Leitkultur-Debatte hier, ein bisschen »Ausländer raus«-Gegröle da – rechte Diskursverschiebung at it’s best. Die Gefahr von rechts ist real, und sie manifestiert sich auch, aber nicht nur in den kommenden Landtagswahlen. Wie ist das zustande gekommen? Was kann man dagegen tun? Und: Was braucht eine Zivilgesellschaft, um einen Umgang trotz und mit der faschistischen Gefahr zu finden? Im vorliegenden ak-Sonderheft nehmen wir nicht nur diese Fragen in den Blick, sondern analysieren auch, welche Handlungsoptionen es im Kampf gegen den aufstrebenden Faschismus noch gibt.
In mehreren Beiträgen erörtern Friederike C. Domrös und Marcel Hartwig die gesellschaftliche Stimmung in Ostdeutschland. Sie arbeiten heraus, welchen Rückhalt die extreme Rechte in der Mittelschicht hat, welche machtpolitischen Landgewinne die AfD durch kommunale Wahlerfolge bereits erzielen konnte und vor welchen Herausforderungen eine kritische Zivilgesellschaft steht.
Ein Interview mit der Linken-Abgeordneten des Thüringer Landtags Katharina König-Preuss macht deutlich, welche Dynamik rechte Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte und rechte Mobs auf den Straßen entwickeln: Vieles erinnert an die rechte Mobilisierung von 2015/16, aber auch an die 1990er Jahre. Dabei ist es nicht nur die Rhetorik von rechts, die bei so manchem für Déjà-vus gesorgt haben dürfte, auch die Ampelkoalition gibt sich größte Mühe, den Asylkompromiss von Anfang der 1990er Jahre in den Schatten zu stellen.
Mit Blick auf ebendiese rassistischen Anti-Migrationsdebatten hierzulande, weisen Anthony Obst und Vanessa E. Thompson darauf hin, dass diese aus der verdrängten tiefen Krise westlich-kapitalistischer Vorherrschaft resultiert. Sie argumentieren, dass Europa weiterhin, wie ein kolonial-imperialistischer Organismus wirkt, der kannibalisch auf Kosten derer lebt, die er gleichzeitig abstößt.
Auch die Mobilisierung gegen trans und queere Identitäten ist zu einer der mächtigsten Waffen im faschistischen Kulturkampf geworden, arbeitet Bilke Schnibbe heraus und kritisiert, dass manche Linke dabei auch mit von der Partie sind. Eine bedeutende Rolle nehmen dabei Vorstellungen von »Normalität« und »Natürlichkeit« ein, die Anknüpfungspunkte an rechte Imaginationen der menschlichen Natur bieten. 2024 ist die Sehnsucht nach einem starken Mann nicht nur den Rechten vorbehalten.
Lasse Thiele zeigt auf, inwiefern auch die Klimabewegung in den Fokus der Rechten gerückt ist. Wie kann die antifaschistisch-klimabewegte Linke auf die Abwehrreflexe der Bürgerlichen eingehen und die Verdrängungsmechanismen der Mehrheitsgesellschaft aufbrechen? Das sind nicht nur Fragen für Klimaaktivist*innen, sondern für alle die, dem Rechtsruck etwas entgegensetzen und für die kommenden Verteilungskämpfe gewappnet sein wollen.
Wie sich Linke auf die düsteren Szenarien, die nach den Landtagswahlen entstehen könnten, vorbereiten, untersucht Sebastian Bähr. Dafür hat er verschiedene Gruppen und Initiativen befragt. Eine dieser Initiativen ist Polylux, die auch mit einem eigenen Beitrag im Heft vertreten ist. In ihrem Beitrag arbeitet die Initiative heraus: Es gibt den »anderen Osten« – und zwar schon lange. Im Zuge der Debatte um die rassistischen Pogrome in Chemnitz und die Erfolge der AfD bei der Europawahl 2019 hat sich das Netzwerk gegründet, um einen Weg zu finden, denjenigen Unterstützung zukommen zu lassen, die in Ostdeutschland geblieben oder nach dem Bekanntwerden des »Potsdamer Remigrationstreffens« neu in die antifaschistische Bewegung gekommen sind.
Einig sind sich alle Beiträge in der düsteren Einschätzung der Lage, doch teilen sie auch die Überzeugung, dass jetzt nicht die Zeit ist, den Kopf in den Sand zu stecken. In diesem Sinne wünschen wir euch, während ihr den Kopf zwischen diese Heftseiten steckt, dass ihr hier Analysen findet, die euch weiterhelfen und Inspiration geben, zum aktiv werden und bleiben.