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»Die Stimmung kippt«

Ein Gespräch mit Katharina König-Preuss über zwei Anschlagsversuche in Thüringen und die rassistische Hetze aus der Mitte

Interview: Carina Book

Bei der rassistischen Mobilisierung verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen AfD, Reichbürger*innen und Leuten aus der Mitte, die menschenfeindliche und antidemokratische Einstellungen haben, bisher aber nicht damit öffentlich in Erscheinung getreten sind. Foto: ak

Ein Hakenkreuz-Bombenfund am Bahnhof im thüringischen Straußfurt und eine Brandstiftung in der Nähe einer Unterkunft für ukrainische Geflüchtete in Apolda: Es sind diese Zuspitzungen binnen drei Tagen, die erkennen lassen, welche Stimmung sich in Thüringen zusammenbraut. Bisher ist ungeklärt, ob es sich bei der Brandstiftung tatsächlich um einen geplanten, rassistisch motivierten Anschlag gehandelt hat. Trotzdem kann das die 147 Geflüchteten, die in der Unterkunft untergebracht sind, in Angst versetzen. In Leipzig wurden ukrainische Geflüchtete in dieser Woche am Rande einer rechten Demonstration mit Hassparolen überzogen. Ein Gespräch mit Katharina König-Preuss, thüringische Landtagsabgeordnete für die Linke, über bekannte Dynamiken und neue Ausmaße der rassistischen Mobilmachung.

Nimmt die rassistische Mobilisierung eine neue Dimension an?

Katharina König-Preuss: An sich ist die Situation erstmal nicht neu, wir sind ja leider seit 2015 schon einiges gewöhnt. Trotzdem spitzt sich die rassistische Stimmung grade an vielen Orten sehr zu – besonders mit Blick auf Geflüchtete aus der Ukraine. Das Neue daran ist wohl am ehesten die Gleichzeitigkeit verschiedener gesellschaftlicher Herausforderungen bzw. Krisen. Anders als 2015 ist die Bevölkerung selbst gerade durch Inflation und steigende Preise belastet. Das macht einen Unterschied, denn während 2015 noch viele Kapazitäten hatten, Geflüchtete willkommen zu heißen, ist bei einigen die Kraft dafür weg, der Kopf zu belastet. Und bei anderen, zumeist rassistisch vorgeprägt, wird die Krisenbelastung dadurch kompensiert, dass Kriegsflüchtlingen die Schuld für die (energie-)wirtschaftlichen Folgen, die der Krieg in ihrem Heimatland in einer globalisierten Welt hier in Deutschland auslöst, zugeschoben wird. Insofern hat sich ziemlich viel verschoben in den letzten Monaten. Die Leute gehen jetzt in Teilen auf die Straße und sagen: Wir wollen Frieden und keine Geflüchteten. Manche der Demonstranten führen sich auf, als ob sie die eigentlichen Opfer des Krieges sind.

Gut, das Friedensthema war 2015 noch nicht so stark, aber die Straßenmobilisierung nach dem »Sommer der Migration« bei Pegida war doch von einem ähnlichen Kaliber, oder?

Die rechten Demonstrationen der letzten Jahre waren auch groß – ich erinnere nur an eine AfD-Demo in Erfurt 2015 mit etwa 7.000 Teilnehmenden. Beim Nazikonzert 2017 in Themar waren es um die 6.000 Neonazis, die teilgenommen haben. Dennoch: Die Demonstrationen, die wir jetzt sehen, übersteigen diese Teilnehmendenzahlen meines Erachtens nochmal deutlich. Es sind die größten rechten Aufmärsche, die wir in Thüringen in den vergangenen Jahren gesehen haben. Am 3. Oktober waren zwischen 8.000 und 10.000 beim rechten Aufmarsch in Gera, gleichzeitig liefen noch 2.000 Rechte in Saalfeld und es gab noch zahlreiche weitere Demonstrationen in anderen Städten Thüringens. Wir müssen derzeit feststellen, dass viel mehr Personen der vermeintlichen »bürgerlichen Mitte« den Aufrufen von Rechten folgen und die Aufmärsche und die profaschistischen Redebeiträge beklatschen. Wir sehen also eine Auflösung der Mitte nach rechts.

Verändert das auch die alltäglichen rassistischen Bedrohungen?

Natürlich. Wenn man sich die Zahlen zu rechten, rassistischen und antisemitischen Übergriffen anschaut, dann stellt man fest, dass diese Fallzahlen seit Jahren zwar kontinuierlich hoch sind. Das bestätigt auch die Thüringer Opferberatungsstelle ezra. Es gab jetzt auch krasse Überfälle in Thüringen, die noch nicht im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg standen. Zum Beispiel in Herrenberg, wo drei Menschen aus Guinea zusammengeschlagen wurden. Einer der drei Betroffen war kurzzeitig in einem lebensbedrohlichen Zustand. Und es gab einen rassistischen Angriff in einer Straßenbahn, wo ein Nazi einen Geflüchteten körperlich angegriffen hat. Was aber nicht in den Zahlen auftaucht, sind die alltäglichen Fälle, die ich als atmosphärische Gewalt beschreiben würde. Und die nimmt zu, auch weil neue Gruppen von Betroffenen hinzugekommen sind.

Was meinst du damit?

Damit meine ich die Fälle, bei denen es nicht direkte körperliche Verletzungen gibt und die auch nicht als Anzeige bei der Polizei und später in den Statistiken landen. Viele Menschen werden wegen ihrer sexuellen Identität, weil sie eine nicht-christliche Religion haben, weil sie nicht-weiß sind oder links sind, täglich beleidigt, bespuckt oder bedroht. Ich nenne das atmosphärische Gewalt, weil es das Leben von diesen Leuten im Alltag negativ beeinträchtigt. Der Teil der Gesellschaft, den dies nicht betrifft, ignoriert diesen Alltagsterror mehrheitlich. Das ist in Thüringen schon seit Jahren so. Seit dem Beginn des Ukrainekriegs wird es aber immer schlimmer.

Ich hatte bis vor kurzem immer noch den Eindruck, dass ukrainische Geflüchtete mehrheitlich positiv aufgenommen wurden …

Es stimmt, dass viele Menschen, auch in Thüringen, ukrainischen Geflüchteten gegenüber aufgeschlossen und unterstützend sind. Aber so langsam beginnt auch das in einigen Städten zu kippen. Das hat zum einen damit zu tun, dass es tatsächlich – anders auch als 2015 – Engpässe auf dem Wohnungsmarkt gibt. Da werden mancherorts die Ukrainer*innen als Konkurrenz um Wohnungen wahrgenommen. Zum anderen ist in einigen Städten in Überlegung, wieder Turnhallen als Notunterkünfte für Geflüchtete vorzubereiten. Da wird dann schnell das Bedürfnis, nach zwei Jahren Corona wieder Sport zu machen, gegen die Unterbringung von Geflüchteten ausgespielt. Außerdem gibt es viel Gerede darüber, dass teilweise Großfamilien mit 80 und mehr Mitgliedern kommen würden und bestenfalls gemeinsam untergebracht werden sollen. Natürlich ist das eine enorme Herausforderung für Kommunen, aber das täuscht ja nicht darüber hinweg, dass die Leute eine gute Unterbringung brauchen. Dass die Herausforderungen bei der Unterbringung teils problematisch begründet werden, ist ein riesiges Problem. Da ist die AfD dann sehr schnell draufgesprungen und hat das rassistisch und antiziganistisch aufgeladen.

Foto: Die Linke Fraktion im Thüringer Landtag

Katharina König-Preuss

ist Sprecherin für Antifaschismus der Fraktion Die Linke im Thüringer Landtag.

Antiziganistisch?

Ob das jetzt ukrainische Rom*nja und Sinti*ze sind, die kommen, weiß überhaupt keiner – und wenn, dann hätten die natürlich den gleichen Anspruch wie andere, die aus der Ukraine geflohen sind, auch. Das heißt, sie müssten nicht in einer Gemeinschaftsunterkunft unterkommen, sondern könnten auch Wohnungen beziehen. Die AfD befeuert aber einen antiziganistischen Diskurs, behauptet, dass Roma, die nun kämen, gar nicht aus der Ukraine seien. Aber neben der AfD hauen auch CDU- und SPD-Politiker*innen ziemlich krasse Sachen raus. Man solle die Pässe von Geflüchteten einbehalten und außerdem sei ja nicht überall in der Ukraine Krieg. Was aber auch mit reinspielt, ist natürlich so eine grundsätzlich rassistische Stimmung und dass die in Thüringen vorhanden ist, das stellt ja der Thüringen-Monitor jedes Jahr fest. Es gibt ein rassistisches Einstellungspotenzial, das über das Wählerpotenzial der AfD noch hinausgeht.

Und das wollen die anderen Parteien nun abfischen?

Das passiert ja nicht nur in Thüringen. Friedrich Merz befeuert das schon seit Wochen, er redet von »Sozialtourismus« und irgendeinem »Pullfaktor an der Balkan-Route«. Auch die Bundesinnenministerin Nancy Faeser veröffentlicht Tweets über »illegale Einreisen« und ihre Sorgen dazu. Da kann man sich vielleicht vorstellen, wie das hier in der Lokalpolitik rund geht. Hier bleibt einem kein Ressentiment erspart. Die Präsidentin des thüringischen Landkreistages, Martina Schweinsburg (CDU), meinte, dass die Kommunen vor einem Kollaps stünden und die Unterbringungsmöglichkeiten für Menschen aus der Ukraine erschöpft seien. Wie gesagt, in einigen Städten ist es mittlerweile schwieriger geworden, aber die Art und Weise, wie einige kommunale Politiker*innen teils die Probleme kommunizieren, befeuert eine rassistische Stimmung. Ende August wurde dann ein Video von einem AfD-Bundestagsabgeordneten veröffentlicht, der in Sömmerda unterwegs war und in dem massiv antiziganistische Hetze verbreitet wurde. In dem Video befragt er Einzelhändler, die teils heftige antiziganistische Äußerungen von sich geben, das Z-Wort verwenden und so weiter.
Ein Thüringer Corona-Leugner, der als Thomas der Busfahrer bekannt ist und hohe Reichweiten in den sozialen Netzwerken hat, machte auf einer Bürgerversammlung Stimmung gegen den Vorsitzenden des Landesverbandes der Sinti und Roma in Thüringen und erklärt, die Geflüchteten seien keine ukrainischen Flüchtlinge, sondern Leute, die sich die Kriegssituation in der Ukraine zunutze machen würden. In einer kleineren Stadt im Landkreis Sömmerda werden mittlerweile teils deutliche rassistische Plakate mitten im öffentlichen Raum aufgehangen. Und für den kommenden Sonnabend (22. Oktober) kündigt sich nun die Nazi-Partei »Neue Stärke« an. Es ist eine rassistische Spirale, die losgetreten wurde und auf die nun auch von Nazis aufgesprungen wird. Alle müssen sich bewusst werden, dass entsprechende Äußerungen im rassistischen Kontext eine Ermutigung für entsprechende Taten sein können.

Heißt das, dass es für die derzeitige rassistische Mobilmachung weder Thorsten Heise noch irgendwelche Turonen braucht?

So, wie es ja schon immer war. Natürlich haben neonazistische Strukturen die Stimmung in Thüringen auch über Jahre mitgeprägt, aber für die großen rassistischen Mobilisierungen der letzten zehn Jahre reichte eine rassistisch aufgeladene Stimmung in der Bürgerschaft. Wichtig wäre es deshalb, den Fokus nicht nur auf Thüringen und nicht nur auf Nazis zu legen, sondern sich die gesellschaftliche Rechtsverschiebung bundesweit anzuschauen, sie genau zu analysieren und damit umzugehen. Und damit umgehen würde heißen, dass wir alle in der Verantwortung stehen, für den Schutz geflüchteter Menschen – egal woher sie kommen – einzustehen. Dazu gehört auch, darauf zu achten, dass Worte nicht zum Brandbeschleuniger für Rassist*innen werden.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.

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