analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

| Antirassismus & Antifaschismus

Update: Antifaschist*in Maja T. trotz Untersagung durch Bundes­verfassungs­gericht nach Ungarn ausgeliefert

Generalstaatsanwaltschaft Berlin muss nun »Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland erwirken«

Von Carina Book

Mitten im Pride Monat fand am 21. Juni eine Solidaritätskundgebung für Maja T. vor der JVA Dresden statt. Foto: Indymedia

Der ursprüngliche Artikel wurde am 28. Juni um 14:15 Uhr aktualisiert.

Es ist ein Vorgang, der die vergangenen Skandale der Soko Linx des LKA Sachsen in den Schatten stellt: Nachdem das Berliner Kammergericht gestern am späten Nachmittag eine Auslieferung von Antifaschist*in Maja T. für zulässig erklärt hatte, setzte die Soko Linx eilig alle Hebel in Bewegung, diese umzusetzen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion begann die Sondereinheit mit der Überstellung. Dabei stand die Entscheidung über einen Eilantrag, den die Anwälte von Maja T. beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hatten, noch aus. Gegen 11 Uhr entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Maja T. nicht ausgeliefert werden dürfe.

Aber: Zu spät, denn Maja T. wurde bereits gegen 10 Uhr an der österreichischen Grenze den ungarischen Behörden übergeben. Das teilte das Bundesverfassungsgericht am Freitagmittag mit. Bis dahin war der Aufenthaltsort von Maja T. über Stunden weder den Anwälten noch der Familie bekannt. Sie hatten gehofft, dass Maja T. noch in Österreich sein würde und die Auslieferung dort gestoppt werden könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin nun angewiesen, die »Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken«.

Maja T. wird vorgeworfen, im Februar 2023 mehrere Nazis in Budapest körperlich angegriffen zu haben. Für die nonbinäre Person könnte die Auslieferung nach Ungarn zum Albtraum werden, denn die ungarische Regierung unter Viktor Orbán hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe queerfeindlicher Gesetze auf den Weg gebracht. Ungarn wurde mehrfach von der EU-Kommission oder den EU-Mitgliedsstaaten verklagt. Die mangelhaften Rechte für LGBTIQ-Personen spiegeln sich in der ungarischen Justiz und damit zwangsläufig auch in den Haftanstalten wider.

Auch darüber hinaus waren die Haftbedingungen und Mängel des ungarischen Rechtsstaats in der Vergangenheit immer wieder festgestellt worden – vom EU-Parlament und der EU-Kommission etwa. 2018 hob das Bundesverfassungsgericht zwei Beschlüsse des Oberlandesgerichts (OLG) München auf, die eine Auslieferung an Ungarn ermöglichen sollten. Auch das OLG Bremen lehnte 2020 eine Auslieferung nach Ungarn aufgrund der dortigen Haftbedingungen ab.

»Wir sind schockiert, dass ein deutsches Gericht nun wahrmacht, wovor es jedem rechtsstaatlich denkenden Menschen graut: Eine queere Person in ein offen queerfeindliches System wie Ungarn zu schicken, verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention«, sagt Angela Furmaniak aus dem Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins.

Das Kammergericht Berlin stellte zwar fest, dass die Politik der aktuellen ungarischen Regierung als »gender-, homo- und transfeindlich bezeichnet werden muss«, jedoch sah es schon im Mai keine »grundsätzlichen Hindernisse« für eine Auslieferung und forderte lediglich Berichte aus Ungarn über den Umgang mit nonbinären Personen in Haftanstalten an. Die Antwort aus Ungarn blieb denkbar unspezifisch. »Darin erfolgt allerdings keine Zusicherung, in welcher ungarischen Haftanstalt eine Inhaftierung erfolgen würde – was einer Überprüfung der konkreten Haftbedingungen im Wege steht«, so Sven Richwin, Strafverteidiger von Maja T.

Abgesehen davon, dass Ungarn gegen rechtsstaatliche Minimalstandards verstößt und mit unmenschlichen Haftbedingungen zu rechnen ist, überrascht die Entschlossenheit der Auslieferungsbestrebungen – schließlich liegt der Fall inzwischen bei der Generalbundesanwaltschaft (GBA), die einen klaren Verfolgungswillen gezeigt hat. Die GBA räumt allerdings dem Verfahren in Ungarn Priorität gegenüber einem Prozess vor hiesigen Gerichten ein.

»Die gehäuften Berichte und eidesstattlichen Versicherung über die desaströsen Haftbedingungen in Ungarn werden dabei beispielsweise als ›subjektive Schilderungen‹ abgekanzelt«, so Richwin weiter. Und: »Die Haftbedingungen in Ungarn funktionieren gleichzeitig als Drohgebärde. Die Bundesanwaltschaft versucht, die Bedingungen in Ungarn zu nutzen, um Maja, aber auch die noch gesuchten Personen zu einer Aussage zu bringen – als Bedingung für ein Auslieferungshindernis. Um einem mangelnden rechtsstaatlichen Verfahren in Ungarn zu entgehen, sollen die Beschuldigten somit auf ein rechtsstaatliches Verfahren in Deutschland verzichten.«

Im rechts regierten Italien entschied das Berufungsgericht Mailand am 13. Februar anders: Der 23-jährige Gabriele M. aus Italien wurde nicht nach Ungarn ausgeliefert. Er war am 22. November 2023 aufgrund eines europäischen Haftbefehls im Zusammenhang mit dem »Tag der Ehre« festgenommen worden. Vor dem Hintergrund, dass bei derlei Vorwürfen in Italien eine Höchststrafe von vier Jahren verhängt werden kann, Gabriele M. in Ungarn allerdings drakonische 16 Jahre Haft drohten, wurde eine Auslieferung für unverhältnismäßig erklärt. Außerdem sagte Staatsanwalt Giulio Benedetti vor Gericht: »Ungarn hat keine ausreichenden Garantien für die Achtung der Menschenrechte im Gefängnis gegeben.«

Das war durch die Haftbedingungen der Italienerin Ilaria S. überdeutlich geworden. 15 Monate saß sie in Untersuchungshaft in Budapest, in einem Gefängnis, das von Ratten und Ungeziefer befallen war, in dem sie sich tagelang nicht waschen durfte und es keine medizinische Akutversorgung gab. Bis zu 24 Jahre Haft standen für Ilaria zunächst im Raum. Nach ihrer Wahl ins Europaparlament konnte sie am 17. Juni wieder nach Italien zurückkehren. In einem Interview sagte Ilaria S. dem Guardian: »Es war eine sehr harte Zeit, eine Erfahrung, die mich auf die Probe gestellt hat, und ich habe mich noch nicht ganz davon erholt. Die Möglichkeit einer so langen Strafe, die in keinem Verhältnis zu den Vorwürfen steht, hat mir Angst gemacht und macht mir immer noch große Angst. Ich erinnere mich, dass sich meine Eltern, als sie mich besuchten, fragten, ob sie zehn Jahre später noch am Leben sein würden.«

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.

Unterstütz unsere Arbeit mit einem Abo

Yes, du hast bis zum Ende gelesen! Wenn dir das öfter passiert, dann ist vielleicht ein Abo was für dich? Wir finanzieren unsere Arbeit nahezu komplett durch Abos – so stellen wir sicher, dass wir unabhängig bleiben. Mit einem ak-Jahresabo (ab 58 Euro, Sozialpreis 38 Euro) liest du jeden Monat auf 32 Seiten das wichtigste aus linker Debatte und Praxis weltweit. Du kannst ak mit einem Förderabo untersützen. Probeabo gibt es natürlich auch.